Zeitbilder 7/8, Schulbuch

tung: z. B. Alleinerzieher/innen-Familien, nicht eheli- che Lebensgemeinschaften, Patchworkfamilien, Wo- chenendfamilien u. a.m. 2007 gab es in Österreich 2,3 Mio. Familien. Davon ent- fielen 2,0 Mio. auf Ehepaare und 300000 auf Lebensge- meinschaften. Von den Paaren lebten 1124000 mit Kin- dern im gemeinsamen Haushalt. In weiteren 300000 Fa- milien mit Kindern gab es nur einen Elternteil – 258000 alleinerziehende Mütter und 44000 alleinerziehende Väter. Ihr Anteil an allen Familien mit Kindern macht 13% aus. Die Ehe ist in Haushalten mit oder ohne Kin- der nach wie vor bedeutsam, auch wenn sie etwas an Gewicht verloren hat (5. Familienbericht 2010, S. 12 f.). Von der Heirat … „Auf 500 Liebschaften kommt eine Heirat“ Nicht der leichtfertige Lebenswandel seiner Zeitgenos- sen veranlasste Johann Nestroy („Freiheit in Krähwin- kel“) zu dieser Aussage. Es war vielmehr die außeror- dentliche Armut der breiten Massen. Heiraten war da- mals ein Luxus. Vermögenslosen war bis weit ins 19. Jh. die Heirat sogar meist verboten. Erst im 20. Jh. stieg die Zahl der Eheschließungen stetig an und erreichte um 1970 mit über 80% einen Höchststand. Die Ehe wurde also zur Regel. Seither nimmt die Zahl der Eheschlie- ßungen wieder merklich ab. Im Jahr 2007 waren knapp 74% der Paare verheiratet. Das entspricht auch dem Trend in der westlichen Welt: Deutlich mehr Menschen leben heute in Paaren zusam- men, jedoch ohne Trauschein. … über die Partnerwahl In adeligen Kreisen vertrat man die Auffassung, dass es unschicklich, ein Zeichen von Geschmacklosigkeit, ja von vulgärer Bourgeoisie sei, seine Frau zu lieben. Die Fami- lie war ein Zusammenleben-in-der-Gemeinschaft ohne intensive gefühlsmäßige Beziehungen. Demnach war die Liebe auch keine Voraussetzung für eine Heirat. Erst im Verlaufe der Ehe sollten gegenseitige Zuneigung und Wertschätzung wachsen. Die Partnerwahl erfolgte in der Regel nicht aus persönlichen Gefühlen der Partner. Dy- nastische Interessen überwogen im Adel, wirtschaftliche bei Kaufleuten aber auch in der bäuerlichen Bevölkerung. Die „Liebesheirat“ war eine Forderung des aufstreben- den Bürgertums. Die selbstbestimmte, vom Gefühl be- einflusste Partnerwahl setzte sich allmählich dort durch, wo der Einzelne von seiner Herkunftsfamilie (ihrem Besitz, ihrem Stand) unabhängiger wurde. So stieg z. B. bei den Arbeiterinnen und Arbeitern die Heiratsrate, und es sank das Heiratsalter. Insgesamt schuf der Über- gang zur individuellen Lohnempfängerschaft mehr Au- tonomie im Bereich der Partnerwahl. Heute ist sie – zu- mindest in unserem Kulturkreis – weitgehend abhängig vom Gefühl und selbstbestimmt. … zur Partnerschaft Die Stellung der Ehegatten war lange Zeit keineswegs gleichberechtigt. In den familienrechtlichen Vorschrif- ten des „Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches“ (ABGB) aus dem Jahre 1811 wird festgelegt: Q § 19: Der Mann ist das „Haupt der Familie“. Die Gattin „erhält den Namen des Mannes und genießt die Rechte seines Standes“. § 92: „Die Frau ist verbunden, dem Manne in sei- nem Wohnsitz zu folgen, ihm in der Haushaltung und Erwerbung nach Kräften bey zu stehen (…)“. Dieses bürgerlich-patriarchalische Familienmodell war an den oberen, vermögenden Ständen orientiert. Es ging bereits damals an der sozialen Wirklichkeit eines Großteils der Erwachsenen vorbei und bewirkte eine Verschlechterung der Situation der Frau. Erst das Eherechtswirkungen-Gesetz von 1975 gestalte- te die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe nach dem Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter und dem Partnerschaftsprinzip. Durch die Abschaffung der Vor- rangstellung des Mannes in der Familie wurde zumin- dest de iure die Gleichberechtigung der beiden Ehe- partner erreicht. De facto gibt es aber große Probleme in der Regel dann, wenn Kinder kommen: Meist erzieht die Frau die Kinder und besorgt den Haushalt, auch wenn sie berufstätig ist. Ist sie nicht berufstätig, bringt er das Geld nach Hause. Sie bleibt als „Nur-Hausfrau“ finanziell von ihm abhängig. Vor dem verflixten siebten Jahr – die Scheidung? L Die Scheidung stammt wahrscheinlich aus der selben Zeit wie die Ehe. Ich glaube dennoch, dass die Ehe einige Wochen älter ist. (Voltaire, Divorce) Seit Mitte der Achtzigerjahre stieg in Österreich die Scheidungsrate von rund einem Drittel der geschlosse- nen Ehen auf 47,8% im Jahr 2008. In den Städten ist die Scheidungshäufigkeit zwei- bis viermal so hoch wie in den ländlichen Gegenden. Frühehen und „Muss-Ehen“ sind besonders scheidungsanfällig. Nicht im „verflixten siebten Jahr“, sondern im zweiten bis vierten Ehejahr ist die Scheidungsrate am höchsten. Scheidung bedeutet u. a. jährlich rund 16000 Kinder und Jugendliche als Scheidungswaisen. L Allgemein Risikofaktoren für die Ehe sind u.a.: geringe Akzeptanz der Herkunftsfamilie, patriar- chalische oder matriarchalische Machtstruktur, keine gemeinsame Gewinnorientierung, Kommunikations- probleme, frühes Heiratsalter etc. (Nach: 5. Familienbericht, 2010, S. 84) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Beurteile mögliche Vor- und Nachteile von gefühlsbezo- gener Partner/innenwahl unter den Aspekten von Selbst- bestimmtheit und Wirtschaftlichkeit.  2. Gegenwärtig wird bei der Definition von Familie der so- zialen Elternschaft gegenüber der biologischen der Verzug eingeräumt. Begründe diese Auffassung anhand der Lite- raturstelle Lenz/Adler, 2011. Beziehe dazu Überlegungen zur künstlichen Befruchtung etc. mit ein. 259 7 Die Vielfalt der sozialen Welt Nur zu Prüfzw cken – Eigentum des Verlags öbv

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