Zeitbilder 7/8, Schulbuch
Menschenrechte – Grundrechte In einer Information der Vereinten Nationen über die Menschenrechte heißt es: L Wer den Menschen ihre Rech- te verweigert, schafft den Nährboden für politische und soziale Unruhen – für Krieg und Feindschaft zwischen Nationen und zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen innerhalb eines Staates. Die Menschenrech- te sind keineswegs ein abstraktes Thema für Philosophen und Ju- risten, sondern in ihnen geht es um das tägliche Leben jedes ein- zelnen Menschen, jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes. (Vereinte Nationen, Hauptabteilung Presse und Information: Die Menschenrechte. 50 Fragen und Antworten zu den Menschenrech- ten und ihrer Förderung durch die Vereinten Nationen, 1984, S. 3) Ohne Menschenrechte können wir kein menschenwürdiges Leben führen. Sie sind ein Bestandteil der menschlichen Natur. Die Menschen- rechte stehen jeder bzw. jedem Einzelnen zu, weil sie in ihrer bzw. seiner Menschenwürde wurzeln. Sie gelten als angeboren, unantastbar und unveräußerlich und dürfen vom Staat nicht genommen werden. Zu ihnen zählen vor allem das Recht auf Leben und körperliche Unversehrt- heit, auf Gleichheit vor dem Gesetz, W Tafelbild der Revolutionszeit, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. Au- gust 1789. Meinungs- und Glaubensfreiheit, Schutz vor willkürlicher Verhaf- tung, Folter und Sklaverei sowie vor Diskriminierung und Verfolgung wegen ethnischer, religiöser und geschlechtlicher Zugehörigkeit. Die Menschenrechte bilden die Vo- raussetzungen dafür, dass alle Men- schen ihre geistigen Fähigkeiten und ihr Gewissen voll entfalten und nutzen. Unter Grundrechten versteht man hingegen Menschen- und Bür- gerrechte, die von der jeweiligen Verfassung eines Staates garantiert werden. Bürgerrechte – z. B. das besondere Wahlrecht in einem Staat – sind mit der jeweiligen Staatsan- gehörigkeit verbunden und gelten deshalb nicht so universal wie die Menschenrechte. Die Entwicklung der Idee Der Mensch ist ein soziales Wesen, das Beziehungen zu anderen pflegt. Es stellt sich daher die Frage nach den Rechten und Pflichten eines Individuums. Der Gedanke, dass der einzelne Mensch unantastbare Rechte habe, führte zur Ausbildung freiheitlicher Ordnungen. Zuerst geschah dies in England, Amerika und Frankreich, später auch in den meisten anderen europäischen Län- dern. Diese Vorgänge können als Versuche gedeutet werden, die Idee der Menschenrechte zunächst für ei- nige und dann für alle Bürgerinnen und Bürger zu verwirklichen. Von der ersten Formulierung der Idee der Menschenrechte bis zu ihrer Verwirklichung in entsprechenden politischen Ordnungen vergingen jedoch mehr als zwei Jahrtausende. Im Laufe der Geschichte sind auf die Frage nach den Rechten und Pflich- ten viele verschiedene Antworten gegeben worden. Im indischen Denken werden zehn menschliche Freiheiten und Tugen- den genannt: fünf soziale Freiheiten (Freiheit von Gewalt, von Not, von Ausbeutung, von Entehrung, von verfrühtem Tod und Krankheit), zu denen fünf Tugenden treten (Tole- ranz, Gemeinschaftsgefühl, Wissen, Freiheit des Gewissens und der Gedanken, Freiheit von Furcht). In diesen Ideen sind die natürlichen Ansprüche des Menschen an die Gesellschaft in Indien zu finden. In Europa wurde die Idee der Menschenrechte zuerst von der griechisch-römischen Philosophen- schule der Stoa ab dem 3. Jh. v. Chr. entwickelt. Für die stoischen Philosophen ist die ganze Welt von der göttlichen Macht der Vernunft durchdrungen. Dadurch besitzt jeder Mensch, ob arm oder reich, Sklave oder freier Bürger, eine unantastbare Würde und Anspruch auf Achtung. Doch konkrete soziale und politische Konsequenzen daraus wurden in der Antike noch nicht gezogen: Ob- wohl die Philosophen die Gleichheit der Menschen als vernunftbegabte Wesen anerkannten, billigten die meisten von ihnen die schärfste Form der sozialen Ungleichheit – die Sklaverei. Das christliche Naturrecht des Mit- telalters knüpft an die Gedanken der Stoa an. Die Menschen werden nun als gleich angesehen, weil sie alle Ebenbilder Gottes und zugleich Sünder sind. Für alle Menschen gilt das Naturrecht, das die höchsten Grundsätze des Rechts enthält. Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1225–1274) unterscheidet: –– Das ewige Recht, das ist die Ver- nunft im Geiste Gottes, die das Weltall lenkt. –– Das Naturrecht, das durch die Teilnahme des Menschen am ewigen Recht entsteht. Zu dieser Teilnahme ist der Mensch durch seine Vernunft und sein Gewissen befähigt. –– Das positive Recht, das vom Menschen zur Regelung des menschlichen Zusammenlebens gesetzt wird und das nur gültig ist, wenn es dem Naturrecht nicht widerspricht. –– Das göttliche Recht, das von Gott unmittelbar für den Menschen gesetzt ist, z. B. die Zehn Gebote. Für Thomas von Aquin gibt es das Recht des Menschen, den Gehorsam dann zu verweigern, wenn mensch- liche Gesetze dem Naturrecht oder dem göttlichen Recht widerspre- chen. Doch auch er nahm die Un- gleichheit und Unfreiheit der Men- schen in der sozialen Wirklichkeit als gottgegeben hin. Aus der Gleichheit vor Gott wurde nicht die rechtliche Die Entwicklung der Menschenrechte 242 Politische Bildung – Kompetenztraining Läng schnitt Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv
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