Zeitbilder 7/8, Schulbuch

Seit 2002 stagniert die soziale Globalisierung, während die wirtschaftliche und politische weiter zunehmen. „Aktien steigen, wenn Arbeitnehmer fallen“ (R. Hochhuth, 2004, S. 61) Globalisierung bietet zunächst eine riesige Chance: Die Informationstechnologie ermöglicht es, seit den 1980er-Jahren Wissen und technologisches Know-how mit „Lichtgeschwindigkeit“ in der Welt zu verbreiten. Doch mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Zentralwirtschaft ab dem Jahr 1989 setzten sich gleich- zeitig neoliberale Wirtschaftsvorstellungen durch: Der Staat muss sich als Unternehmer aus der Wirtschaft zurückzuziehen. Er soll nur unternehmensfreundliche Rahmenbedingungen vorgeben. Ziel der Betriebe ist v. a. eine Maximierung der Gewinne und eine Verbesse- rung der Konkurrenzfähigkeit. Damit werden technolo­ gische Innovation und Produktivität gesteigert. Die Menschen, die in den Betrieben arbeiten, werden nur noch unter dem Gesichtspunkt betrachtet, wie profita- bel sie im Betrieb einsetzbar sind. Ein Topmanager der US-Computerfirma Sun Mikro- Systems äußerte sich auf einem internationalen Kon- gress 1995 folgendermaßen: L Jeder kann bei uns so lange arbeiten, wie er will, wir brauchen keine Visa für unsere Leute aus dem Ausland. Regierungen und deren Vorschriften für die Arbeitswelt sind bedeutungslos geworden. Beschäftigt wird, wen man gerade braucht, der so lange arbeitet, wie er kann. Wir stellen unsere Leute per Computer ein, sie arbeiten am Computer und sie werden auch per Computer gefeuert. Mit unserer Ef- fizienz konnten wir den Umsatz seit unserem Beginn vor dreizehn Jahren von null auf über sechs Mrd. Dollar hochjagen. (Martin/Schumann, Die Globalisierungsfalle, 1996, S. 11) Die zunehmende internationale Arbeitsteilung trägt zweifellos dazu bei, die weltweite Wirtschaftsleistung zu steigern. Ganz im Sinne der Gewinnmaximierung und zum Vorteil der Unternehmen erfolgen Fusionen von z. T. riesigen Firmen. Während das Lohnniveau der Beschäftigten in der west- lichen Welt nur mäßig steigt und teilweise sogar sinkt, steigen die Gehälter der Manager/innen und die Kon- zerngewinne teilweise mit zweistelligen Raten. Die Topmanager/innen dieser Konzerne stehen unter dem Druck, für ihre transnationalen Aktionäre maximale Gewinne erzielen zu müssen, da diese ihre Investitio- nen sonst zurückziehen könnten. Das neoliberale Sys- tem zwingt sie zum „Erfolg“ um jeden Preis. Soziale Überlegungen sind dabei nur zweitrangig. Staatsausgaben kürzen, Löhne senken, Sozialausga- ben streichen – die Programme der Reformer im Zei- chen der Globalisierung sind in allen Industrieländern ähnlich. Das betrifft vor allem die große Masse der Ar- beitnehmer/innen. Diese sind nicht globalisiert. Einen Globalisierungsprozess gibt es nur in Bezug auf Exper- tinnen und Experten. Das sind qualifizierte Arbeitskräf- te, wie Naturwissenschafter/innen oder EDV-Spezia- listen, die überall auf der Welt besonders stark nach- gefragt werden. Die Gewerkschaften stemmen sich mit Protesten und Streiks zwar gegen Sozialabbau und Lohnkürzungen, doch die Unternehmer drohen den Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit der Auslage- rung der Betriebe in Länder mit niedrigeren Löhnen. Diktatur des Weltmarktes – Gefahr für die Demokratie Ob in den USA, in Indien, Japan oder Europa: Die Ge- sellschaften beginnen sich zunehmend in eine Minder- heit von Gewinnern und in eine Mehrheit von Verlie- rern zu spalten. Die Verteilung des durch Globalisierung gewonnenen Reichtums ist nämlich sehr ungleich. Nicht jeder verliert. Doch die Zahl der Verlierer übersteigt die Zahl der Gewinner beträchtlich – national und internati- onal. Viele fürchten als Rationalisierungsopfer (sinkende Löhne, Arbeitslosigkeit, Verlust des sozialen Standards) den sozialen Abstieg. Ihre Angst vor der Armut und dem sozialen Abstieg gefährdet den sozialen Frieden und möglicherweise in der Folge die Demokratie. L Im Jahr 2010 haben die 500 größten Privatkon- zerne aller Sektoren 52,8% des Weltbruttosozial- produktes beherrscht. Die haben eine Macht, wie sie auf diesem Planeten nie ein König, nie ein Kaiser, nie ein Papst gehabt hat. (Jean Ziegler, OE1 am 30.6.2011) Der international angesehene britische Historiker Eric Hobsbawm fasste diese Probleme folgendermaßen zu- sammen: L Erstens hat die gegenwärtig so geschätzte Glo- balisierung des freien Marktes dazu geführt, dass die Ungleichheit auf nationaler wie auf inter- nationaler Ebene dramatisch zugenommen hat. (…) Zweitens bekommen diejenigen die Globalisierung am stärksten zu spüren, die am wenigsten von ihr W Nach: KOF-Globalisierungsindex 2010 – ETH-Zürich, Konjunkturfor- schungsstelle vom 22. 1. 2010. 0 10 Luxemburg Belgien Österreich Schweiz Schweden Dänemark Kanada Portugal Finnland Ungarn Irland Tschechien Frankreich Spanien Niederlande 20 30 40 50 60 70 80 90 100 wirtschaftlich sozial politisch Die 15 am stärksten globalisierten Länder der Welt 229 6 Internationale Politik seit 1945 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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