Zeitbilder 7/8, Schulbuch

6.3 Neoliberal – total global Globalisierung – ein vielschichtiges Phänomen „Globalisierung“ ist das Schlagwort für eine weltweite Entwicklung seit den 1980er-Jahren: Es kennzeichnet die umfassenden Veränderungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Typische Merkmale: L • Globale Wirtschaft: Sie ist mehr als „bloße Weltwirtschaft“, welche die ganze Welt einbe- zieht. Eine globale Wirtschaft besitzt heute die Fä- higkeit, in Sekundenbruchteilen Informationen aus- zutauschen und solcherart in „Echtzeit“ auf globaler (= weltweiter) Ebene zu funktionieren. • Neue Technologien: Die notwendigen Grundla- gen und die eigentliche Triebfeder dafür bilden die neuen Technologien in Bereichen der Mikroelektro- nik und der Telekommunikation. • Globale Finanzmärkte: Riesige Geldtransaktio- nen werden im Internet über den gesamten Globus innerhalb von Sekunden abgewickelt. Der Kapital- markt hat sich dabei verselbstständigt. Der Devi- senhandel stieg von ca. 590 Mrd. Dollar pro Tag im Jahr 1989 auf geschätzte 4 000 Mrd. pro Tag im Jahr 2010. Eine Folge davon ist, dass ein Großteil dieser Gelder – man schätzt 90 % – nichts mehr mit der Bezahlung von Gütern und Dienstleistungen zu tun hat. Das Geld ist vielmehr selbst zur Ware gewor- den. Es fließt in riesigen Mengen in Einrichtungen, die in kurzer Zeit hohe Gewinne versprechen. Es wird aber ebenso schnell wieder abgezogen, wenn die Situation sich verändert. Wirtschaftliche oder fi- nanzpolitische Zerrüttungen, die für solche Länder oder Betriebe dadurch ausgelöst werden können, bleiben unberücksichtigt. Mit der Zunahme der Finanzmärkte ist weltweit die Bedeutsamkeit des Bankensektors gewachsen. Gesetzgebungen von Einzelstaaten zur besseren politischen Kontrolle der Banken und Finanzmärkte sind nahezu unmöglich geworden. • Wirtschaftlich starke Staaten: Die USA, Ja- pan u. a. haben durchgesetzt, dass wirtschaftliche Schutzwälle (z. B. Handelsbeschränkungen, Förde- rungen etc.) schrittweise abgebaut werden (Libera- lisierung). Man erhofft sich, ähnlich wie in der Ver- gangenheit, durch den Abbau von Handelsschran- ken eine zusätzliche Dynamik des Handels und der Produktion und auf solche Weise einen Wohlstands- gewinn für alle. • Deregulierung: Mit der Liberalisierung nach au- ßen geht ein Abbau innerstaatlicher Vorschriften für die Wirtschaft einher (Deregulierung). • Transnationale Konzerne: Ihre Stellung ist be- herrschend geworden. Diese Konzerne sind zwar nicht gänzlich unabhängig von Orten. Sie sind aber nicht mehr nur an einen Ort gebunden. Sie handeln an mehreren Orten, also multilokal bzw. transnatio- nal. Der Abbau von zwischenstaatlichen Hindernis- sen erleichtert es ihnen, ihre Produktion in Länder mit niedrigen Lohnkosten, geringen Umweltstan- dards oder sozialen Auflagen zu verlegen. Sie kön- nen damit trotz höherer Transportkosten billiger pro- duzieren als in den entwickelten Industrieländern. In diesen gehen aber die Arbeitsplätze verloren. Dadurch, dass aufgrund der Informationstechnologie die Entfernungen keine bedeutende Rolle mehr spie- len, können solche Betriebe als Globalplayers grenz- überschreitend handeln. Sie werden somit immer un- abhängiger von Nationalstaaten. • Nationalstaaten: Ihre Regierungen und Parla- mente verlieren gegenüber den globalen Konzernen an Macht und Entscheidungskompetenzen. Diese globalen Konzerne können die nationalen Regierun- gen in einer Art „globalen Kuhhandel“ gegeneinan- der ausspielen – um niedrigere Steuertarife, um bes- sere Unterstützungsleistungen bei Investitionen und Neugründungen, um Lockerung der Arbeitszeit usw. • Das globalisierte Verbrechen: Bedrohlich für die Nationalstaaten sind aber auch die globalen Verbin- dungen des organisierten Verbrechens – vom Men- schenhandel, dem Drogenhandel über illegale Ge- schäfte mit Waffen und Kunstschätzen bis hin zur „Mutter aller Verbrechen“, der Geldwäsche. Über die Geldwäsche ist die kriminelle Wirtschaft in die globalen Finanzmärkte eingebunden. Man schätzt, dass ungefähr 750 Mrd. Dollar pro Jahr im globalen Finanzsystem gewaschen werden. (Nach: Castells, Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Band 1, 2001, S. 85 ff. und 275 f. sowie Beck, Politik der Globalisierung, 1998, S. 20 ff.) Globalisierungsindex Als Maß für die Globalisierung der einzelnen Staaten wurde ein Globalisierungsindex entwickelt. Er soll die wirtschaftliche, die soziale und die politische Dimension der Globalisierung bestimmen. Seit den 1970er Jahren ist die Globalisierung in allen drei Bereichen gestiegen, besonders deutlich nach dem Ende des Kalten Krieges. 70 60 50 40 30 1980 1985 1990 1995 2000 2005 KOF Globalisierungsindex insgesamt Wirtschaftliche Globalisierung Soziale Globalisierung Politische Globalisierung W Nach: KOF-Globalisierungsindex 2010 – ETH-Zürich, Konjunkturfor- schungsstelle vom 22. 1. 2010. Entwicklung der weltweiten Globalisierung 228 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des V rlags öbv

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