Zeitbilder 7/8, Schulbuch

4.4 Entwicklungshilfepolitik am Beispiel Afrika Die Bezeichnung „Entwicklungsländer“ ist erst nach 1945 gebräuchlich geworden. Doch die moderne Entwicklungspro- blematik reicht bis ins 18. Jh. zurück. Nach Dieter Senghaas, einem renommierten Politikwissenschafter, entsteht ein Ent- wicklungsproblem dann, L wenn zwischen Gesellschaften und insbesondere ihren Ökonomien, die miteinander regen Aus- tausch pflegen, eine Kluft an Wissen (z. B. im tech- nologischen Bereich) und organisatorischen Fähig- keiten entsteht. Dann steht im Laufe der Zeit einer weniger produktiven Wirtschaft eine produktivere gegenüber. Zwischen ihnen bildet sich ein Gefälle an Fähigkeiten heraus. In weiterer Folge werden die mit veralteter Technologie und geringerer Produktivität erzeugten Waren einfach niederkonkurriert. In ei- ner liberalen Wirtschaftsordnung werden solche Ge- sellschaften an den Rand gedrängt (marginalisiert). Die wirtschaftlich und technologisch moderner ent- wickelten Gesellschaften in Europa, Amerika (z. B. USA, Kanada, Brasilien) und teilweise in Asien (z. B. Japan, Süd-Korea, VR-China) benutzen sie als Liefe- ranten von Rohstoffen. Dazu zählen unverarbeitete Erze, Diamanten, Erdöl und besonders auch landwirt- schaftliche Produkte von Plantagenwirtschaften, wie Kaffee, Tee, Zucker und Früchte. Von dieser Situa- tion ist gegenwärtig in besonderem Maße Schwarz- Afrika betroffen. (Nach Senghaas: Entwicklungspolitik. Alte und neue Herausforderun- gen. In: Praxis Politik. Februar 1, 2010, S. 4 f.). Mit der Entwicklungsproblematik haben sich in den vergange- nen 60 Jahren nationale Regierungen, internationale Organi- sationen wie die UNO und die OECD, Nichtregierungsorgani- sationen (NGOs) und Kirchen aber auch die Wissenschaften beschäftigt. Am Anfang stand die „Entwicklungshilfe“. Sie wurde im We- sentlichen von privaten Einrichtungen und Kirchen getragen. Die Finanzierung erfolgte hauptsächlich über Spenden. Dann kam von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) an ihre Mitgliedsländer die Auffor- derung, Entwicklungshilfe von Staat zu Staat zu leisten. Auf diese Weise entwickelte sich die bisherige Entwicklungshilfe zur „Entwicklungspolitik“ weiter. Die Finanzierung erfolgte nun zu einem überwiegenden Teil aus den nationalen Budgets der Geberländer; Spendengelder z. B. der Kirchen und der NGOs ergänzten diese. Vielfach schufen aber diese Hilfsmaßnahmen neue Abhängigkeiten. Denn im Vordergrund der entwicklungs- politischen Aktivitäten der Geberländer standen sehr oft deren Interessen um politische Einflusssphären und wirtschaftliche Absatzmärkte. Darüber hinaus lieferte man nicht selten Pro- dukte, ohne auf die Bedürfnisse der Bevölkerung in diesen Ländern zu achten. Und schließlich hat man es lange Zeit ver- absäumt, Voraussetzungen für deren eigenständige Entwick- lung zu schaffen. Dazu zählen besonders eine entsprechende Ausbildung und Gesundheitsförderung der Bevölkerung, die Sicherung der Menschenrechte und der Ausbau einer leis- tungsfähigen Infrastruktur für die Verwaltung und den (Güter) Verkehr. Darauf haben Tausende Expertinnen und Experten, die in entwicklungspolitischen Projekten gearbeitet haben, immer wieder hingewiesen. Diese Erkenntnisse bewirkten, dass die traditionelle Entwicklungspolitik der 1960er und 1970er Jahre, welche vornehmlich aus finanziellen Zuwendungen bestand, all- mählich verändert wurde. Es begann sich das Verständnis einer nachhaltigen „Entwicklungszusammenarbeit“ durchzusetzen. Im Jahr 2005 formulierte man dazu in der „Pariser Erklärung“ fünf Prinzipien für nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit: 1. Stärkung der Eigenverantwortung der Partnerländer (Owner- ship); 2. Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit auf die nationalen Entwicklungsstrategien, -institutionen und -verfah- ren (Alignment); 3. Harmonisierung der Geberaktivitäten (Har- monisation); 4. Einführung ergebnisorientierten Managements (Managing for Results); 5. gegenseitige Rechenschaftspflicht (Mutual Accountability). (Informationen der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Weltnachrichten Nr.3/2011, S. 6). Bericht in Spiegel-Online über Entwicklungszusammenarbeit: L Die G-8-Staaten planen eine Kehrtwende in der Entwicklungspolitik. Eine Initiative sieht vor, we- niger Nahrungsmittel in Hungergebiete zu schicken und stattdessen die regionale Landwirtschaft zu un- terstützen. ( …) Statt Nahrungsmittel in Hungerge- biete zu liefern und so lokale Märkte kaputtzuma- chen soll den Landwirten dort geholfen werden, die Produktion anzukurbeln. (…) Vertreter der Vereinten Nationen begrüßten den Vorstoß der Industrienatio- nen. Die Abkehr von Nahrungsmittelhilfen zu mehr Selbsthilfe sei ein längst überfälliger Schritt. Jacques Diouf, Chef der FAO, der UNO-Ernährungsorganisa- tion, sagte: „Nahrungsmittelhilfe ist aber nötig, weil Menschen unter Dürre, Überschwemmungen und Konflikten leiden, und was sie sofort brauchen, sind Lebensmittel. Aber wenn wir es mit einer Milliarde hungernder Menschen zu tun haben, müssen wir ih- nen dabei helfen, dass sie selbst Nahrungsmittel in ausreichendem Ausmaß anbauen können“. (Spiegel Online: G-8 startet 20-Milliarden Plan gegen Hunger; 10.7. 2009) 1961 100 150 200 250 300 350 400 450 1970 1980 1990 2000 07 Typische Exportprodukte Zuckerrohr Orangen Typische Produkte für den Eigenbedarf Wurzeln und Knollen Sorghum-Hirse Agrarproduktion in Afrika; 1961=100 W Nach: Le Monde diplomatique: Atlas der Globalisierung. Berlin 2009, S. 134. 208 Politische Bildung – Kompetenztraining Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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