Zeitbilder 7/8, Schulbuch

Als erste Kolonien erlangten 1956 der Sudan und 1957 Ghana ihre Unabhängigkeit. In Ghana hatte sich schon 1947 eine Unabhängigkeitsbewegung gebildet. In ihr spielte der ausgebildete Lehrer Kwame Nkrumah eine wesentliche Rolle. Diese Bewegung fand immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung. Schrittweise wurde durch Verhandlungen mit der britischen Regierung die Unab- hängigkeit erreicht. Besonders der Erfolg in Ghana löste eine Welle weiterer Unabhängigkeitserklärungen aus. Die französischen und britischen Kolonialreiche zerfie- len nun rasch. Allein im Jahr 1960 gewannen 17 Staaten Afrikas ihre Unabhängigkeit, sodass dieses Jahr auch als das „Jahr Afrikas“ bezeichnet wird. Noch im selben Jahr verabschiedete die UNO eine Resolution, die von 43 afrikanischen und asiatischen Staaten eingebracht worden war: Q 1. Die Unterwerfung von Völkern (...) bedeutet eine Verletzung grundsätzlicher Menschenrech- te (...) und behindert den Fortschritt des Weltfriedens (...). 2. Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestim- mung (...). 3. Unzureichende politische, wirtschaftliche, gesell- schaftliche oder schulische Vorbereitung darf nie als Vorwand für die Verzögerung der Unabhängigkeit dienen. 4. Alle bewaffneten Handlungen oder Unterdrü- ckungsmaßnahmen (...) sollen aufhören, damit diese Völker in Frieden und Freiheit ihr Recht auf völlige Unabhängigkeit wahrnehmen können (...). (Ansprenger, Entkolonisierung, 1979, S. 40 f.) Die Beseitigung aller kolonialer Abhängigkeiten zog sich aber noch dreißig Jahre hin. Die Portugiesen ver- ließen Angola und Mosambik erst Mitte der Siebziger- jahre. Der von englischen Farmern beherrschte Staat (Süd-)Rhodesien (Simbabwe) erhielt 1980 eine schwar- ze Regierung. Als letzte Kolonie erlangte Namibia 1990 seine Unabhängigkeit. Dieses Land war jahrzehntelang entgegen einem Beschluss der UNO und eines Urteils des Internationalen Gerichtshofes unter Kontrolle und Herrschaft Südafrikas gestanden. In Südafrika selbst bedeuteten die ersten allgemeinen und freien Wah- len im April 1994, die dem ANC 63 % der Stimmen brachten, und der Amtsantritt von Nelson Mandela als Staatspräsident das Ende der politischen Vorherrschaft der Weißen. Eine neue Verfassung löste das System der Apartheid ab. Auf Vorschlag von Bischof Desmond Tutu wurden zur Aufarbeitung der Verbrechen des Apartheitsregimes Wahrheits- und Versöhnungskom- missionen eingerichtet. Diese Form der Wahrheits- und Versöhnungskommission wurde mittlerweile von zahl- reichen afrikanischen Staaten übernommen, um die Gräuel ihrer Bürgerkriege aufzuarbeiten. Politische Unabhängigkeit genügt nicht Die neuen Staaten sahen sich bald vor große Probleme gestellt. L Die „Gründungsväter“ der neuen Nationen setz- ten auf ihr Prestige aus dem Unabhängigkeits- kampf. Sie nutzten die Einkünfte des Staates zur Absicherung der eigenen Macht. Die herrschende Klasse rund um den Staatschef wurde reich, weil sie die Politik kontrollierte. Sie sicherte ihre politische Macht mit Hilfe ihres Reichtums. (…) Die gewählten Regierungen und Staatschefs stellten sich aus Furcht vor einer Niederlage nicht mehr einer freien Wahl. Sie sicherten ihre Macht durch Gesetze, Polizei und Geheimdienste, Bestechung und nackte Gewalt ab (…) Nicht die Verfassung machte den Präsiden- ten, sondern der Präsident machte die Verfassung. (…) Die Opposition lief entweder freiwillig zur Re- gierungsfraktion über oder wurde mit Ämtern und Geld gekauft. Jene, die in ihrer politischen Meinung standfest blieben, gingen ins Exil, verstummten, kamen ins Gefängnis oder wurden umgebracht. So verwandelten sich die Demokratien der neuen Unab- hängigkeit rasch wieder in autoritäre Systeme. (Schicho, Selbstbestimmte Entwicklung – vorenthalten und verspielt. Afrika. In: Konrad, /Stromberger (Hg.): Die Welt im 20 Jh. nach 1945, 2010, S. 263f) Vielfalt der Probleme Ab den 1980er Jahren waren die meisten neuen Staa- ten in Afrika in einer sehr ungünstigen Situation. Die W Jomo Kenyatta. Führer im Unabhän- gigkeitskampf und späterer Minister- präsident Kenias. W Nelson Mandela (Fotografie, Mai 2011). 205 6 Internationale Politik seit 1945 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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