Zeitbilder 7/8, Schulbuch

4. Das Ende kolonialer Herrschaft 4.1 Unabhängigkeitsbewegungen in Asien Indien – „Freiheit um Mitternacht“ Die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand in Asien und Afrika im Zeichen der Entkolonisierung. Schon im 19. Jahrhundert bestanden in Indien Bestre­ bungen nach Unabhängigkeit. Nach dem Ersten Welt- krieg übertrug die britische Kolonialmacht immer mehr Verwaltungsaufgaben in die Hände von Indern. Sie hoffte damit, die Forderungen nach voller Unabhängig- keit abwehren zu können. Doch die Unabhängigkeits- bewegung ließ sich nicht mehr von ihrem Ziel abbrin- gen. Eine entscheidende Rolle spielte hierbei Mahatma Gandhi. Er führte den Indern die Wirksamkeit gewalt- losen Widerstandes und zivilen Ungehorsams vor (De- monstrationen, Boykott britischer Waren, Verweigerung von Steuern und der Zusammenarbeit mit den Kolonial- behörden, Hungerstreik). Die Zahl jener, die sich Gan- dhi anschlossen, wuchs rasch. Indiens Unabhängigkeitsbewegung war allerdings zwi- schen Hindus und Moslems gespalten. Die Moslems befürchteten, in einem unabhängigen Indien von der Hindu-Mehrheit an den Rand gedrängt zu werden. Viele von ihnen waren zudem Großgrundbesitzer. Sie bangten um ihre Privilegien und hatten Angst vor ei- ner Landreform. So entstand unter den Moslems der Plan, Indien zu teilen und einen eigenen Staat Pakistan zu errichten, in dem die Moslems die Mehrheit stellen würden. Die britische Regierung bestand aber darauf, dass Hindus und Moslems gemeinsam eine neue Ver- fassung entwerfen sollten. Statt zur Zusammenarbeit kam es aber zu schweren Unruhen. Dennoch beschloss das britische Parlament, Indien mit 15. August 1947 für unabhängig zu erklären. Über die Versammlung im Parlament von Delhi, die in der Nacht vom 14. auf den 15. August 1947 auf den Beginn der Unabhängigkeit wartete, wird folgendes berichtet: Q Bei der mitternächtlichen Parlamentssitzung, in der die Erlangung der Unabhängigkeit gefeiert wurde, waren die indischen Abgeordneten unter sich. Es war Nehrus große Stunde. (…) Es war eine Stunde langgehegter Hoffnungen, doch die Freude wurde durch die Teilung des Landes getrübt. Mahat- ma Gandhi (…) sah keinen Grund zum Feiern. Er war durch die Teilung zutiefst betroffen. Während man in der Hauptstadt die Freiheit willkommen hieß, widme- te sich Gandhi der Erhaltung des Friedens zwischen Hindus und Muslims in Bengali. (Rothermund, Delhi, 15. August 1947. Das Ende kolonialer Herrschaft, 1998, S. 10) Q Das Indien, das diese Männer und Frauen ver- traten, würde in wenigen Minuten zu einer Na- tion werden, die 275 Millionen Hindus (davon 70 Millionen Unberührbare), 50 Millionen Moslems, 7 Millionen Christen, 6 Millionen Sikhs (...) umschloss. Nur wenige in der Halle konnten sich in ihrer Mut- tersprache verständigen, sie waren auf das Englische angewiesen. In ihrem Staat würde es 15 offizielle Sprachen und 845 Dialekte geben. Dieses Indien be- herbergte ein Heer von Bettlern; 15 Millionen Sad- hus, heilige Männer; 20 Millionen Nachkommen der Ureinwohner. 10 Millionen Inder waren nicht sess- haft (...). Jeden Tag wurden 38 000 Inder geboren, von denen die Hälfte nicht fünf Jahre alt wurde. (…) (Collins/Lapierre, Mitternacht, 1978, S. 265 ff.) Nach der Unabhängigkeit führte der Gegensatz zwi- schen Hindus und Moslems zur Bildung zweier Staaten: Indien und Pakistan. Besonders in den gemischt besie- delten Gebieten kam es immer wieder zu Gewalttaten mit mindestens einer Million Toten. Riesige Umsiedlun- gen setzten ein. Moslems flohen nach Pakistan, Hindus und Sikhs nach Indien. 1971 zerfiel Pakistan, das in die weit voneinander entfernt liegenden Teile Ost- und Westpakistan geteilt war. Die bengalische Mehrheit in Ostpakistan errichtete einen eigenen Staat Bangla- desch. Im Süden des Subkontinents schuf eine Unab- hängigkeitsbewegung 1948 auf Ceylon einen eigenen Staat (Sri Lanka). Südostasien – verschiedene Wege zur Unabhängigkeit Das erste Land, das nach dem Zweiten Weltkrieg die Unabhängigkeit erlangte, waren die Philippinen. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert waren sie Kolonie der USA gewesen. Während des Zweiten Weltkrieges hatte Japan die Inseln erobert. Gegen Ende des Krie- ges erfolgte jedoch die Rückeroberung durch die USA. 1946 erhielten die Philippinen zwar ihre Unabhängig- keit, doch sicherten sich die USA große Vorrechte im Bereich der Wirtschaft. Vor allem aber blieb amerikani- W Mahatma Gandhi (1869–1948) wurde von einem fanatischen Hin- du ermordet. Mit dem Spinnrad als Symbol setzte sich Gandhi für die Förderung der heimischen Gewerbe ein, die unter der Einfuhr britischer Industrieerzeugnisse litten. Das Foto wurde 1925 in Sabarmati Ashram (= Medidationszentrum) in Ahmedabad aufgenommen. 200 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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