Zeitbilder 7/8, Schulbuch

„Amerikanisierung“ des Lebens in den Großstädten In den Zwanzigerjahren entstand in den europäischen Großstädten eine neue Lebensart: Man orientierte sich am „American way of life“. Dieser ist gekennzeichnet durch höhere Mobilität in Beruf und Freizeit, durch Massenkonsum und vielfältige Freizeitangebote. Unter den Metropolen verkörperte besonders Berlin diese mo- derne Welt. Die Infrastruktur der Großstädte wurde verbessert, man baute neue Schulen und Krankenhäuser. Viele Men- schen begeisterten sich nun am Sport. Es wurden daher Schwimmbäder und große Fußballstadien (Wembley, Prater) gebaut. Eine Weltstadt wie Berlin bot denjeni- gen, die es sich leisten konnten, unendliche Vergnü- gungsmöglichkeiten: Tausende Bars, Nachtclubs, Vari- etétheater, Warenhäuser und Tanzpaläste entstanden. Kulturelle Importe aus den USA eroberten die „alte Welt“: In den großen Kinos wurden Hollywoodfilme ge­ zeigt, die Jazzmusik fand Liebhaber und entschiedene Gegner. Neue Modetänze wie der Charleston, Tango und Foxtrott lösten ein regelrechtes „Tanzfieber“ aus. Moderne Massenkommunikationsmittel gewan- nen schnell an Bedeutung: Die Anzahl der Radios in Deutschland steigerte sich von 1500 Geräten im Jahr 1924 auf 2,2 Millionen vier Jahre später. Schallplatten, Kino, Illustrierte, Boulevardzeitungen erreichten und beeinflussten Millionen Menschen. Die ungezwungenere Lebensweise und die neuen Un- terhaltungs- und Konsummöglichkeiten konnten ne- ben den wohlhabenden Bürgerinnen und Bürgern nun zunehmend auch Facharbeiterinnen und Facharbeiter und Angestellte nutzen, sofern mehr als ein Famili- enmitglied zum Einkommen beitrug. Für die meisten Menschen blieb das Leben aber ein harter und müh- samer Kampf ums Überleben. Die ländlichen Gebiete wurden von der „Amerikanisierung“ des Alltags ohne- hin kaum betroffen. Der Schriftsteller Leonhard Frank schreibt in seinen Le- benserinnerungen über das Berlin der Zwanzigerjahre: Q Riesige Summen amerikanischen Privatkapi- tals wurden ins Land gepumpt (...). Ein neues Deutschland hatte sich herausgeschält. Eine Art Mär- chen vom Aschenbrödel war für eine ganze Nation Wirklichkeit geworden. Diese Zeit war ein Beweis da- für, dass Wirtschaftskraft und -aufstieg auch das geis- tige und künstlerische Schaffen befruchten. Selbst der junge Maler hungerte nicht mehr, er malte nicht nur, er verkaufte. Mäzene besonnten sein Leben. Die Bücherproduktion war größer als je. Die neue expressionistische Richtung, in Deutschland entstan- den, beeinflusste die europäische Dichtung. Theater, Oper und Konzertsäle waren überfüllt. Europäische Künstler aus Paris, London, Rom, die nach Berlin ka- men, waren begeistert und wollten nicht mehr fort. Die Luft in Berlin war elektrisch geladen. (Frank, Links, wo das Herz ist, 1963, S. 113 f.) Beschreibt in eigenen Worten, wie der Schriftsteller das Berlin der Zwanzigerjahre erlebte. Diskutiert darüber, in welchem Umfang und in welchen Bereichen unser Leben heute amerikanisiert ist. Neue Ausdrucksformen in der Kunst Auf kulturellem Gebiet, besonders in der Malerei, war die Weimarer Republik tonangebend. Von Deutschland aus verbreiteten sich neue Stilrichtungen, die sich teil- weise experimenteller Ausdrucksformen bedienten. Thematisiert wurden nun die leidvolle Erfahrung des Ersten Weltkrieges, die gesellschaftlichen Veränderun- gen und die politischen Spannungen danach. Es gab eine Tendenz zur abstrakten Darstellung. Die Stilrich- tung des Expressionismus, die schon vor dem Ersten Weltkrieg entstanden war, stellte den vereinsamten, entwurzelten Menschen in den Vordergrund. Es ging den Künstlerinnen und Künstlern dieser Richtung we- niger um das Motiv, vielmehr wollten sie im Betrachter starke Gefühle erwecken. Dadaisten verstanden ihre Werke als „Antikunst“. Sie gestalteten diese als Collagen, montierten Bild-, Text- und Wortfetzen. Mit ihren Themen und Ausdrucksfor- men wollten sie bewusst die bürgerliche Gesellschaft provozieren. Die Surrealisten waren beeinflusst von Sigmund Freuds Theorien über das Unterbewusstsein. In ihren Bildern zeigen sich oft beängstigende Traumwelten. In Berlin und Dresden hatte sich um 1919 eine Stilrich- tung entwickelt, die wegen ihrer direkten und realis- tischen Darstellungsart „Neue Sachlichkeit“ genannt wurde. In den Werken von berühmten Kunstschaffenden W Die Faszination an der Technik zeigte sich jetzt auch in der Kunst. Das Gemälde „Radiohörer” von Max Radler (1904–1971) entstand 1930. 20 Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

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