Zeitbilder 7/8, Schulbuch

der Sozialistischen Arbeiterpartei an. Er war Gewerk- schaftsführer gewesen und als Gegner der Globalisie- rung bekannt. Für viele galt der neue Präsident der damals zehntgrößten Industrienation als glaubhafter Vertreter einer Politik des Wandels zu mehr sozialer Gerechtigkeit bei gleichzeitiger Bewahrung der wirt- schaftlichen Stabilität. Ihm folgte 2011 Dilma Rousseff, seine bisherige Stellvertreterin als Präsidentin im Amt. Reformvorhaben im sozialen Bereich Laut Schätzungen der UNO lebten in Brasilien zu Be- ginn des 21. Jh. noch immer etwa 22% der Bevölkerung von weniger als 2 Dollar pro Tag. Schon im Laufe des Jahres 2003 stellte daher die neue Regierung ein für mehrere Jahre geplantes Sozialprojekt vor, das von der Weltbank mitfinanziert wurde und Familien mit gerin- gem Einkommen zugute kommen sollte. In Verbindung mit bestimmten Auflagen, wie regelmäßiger Schulbe- such der Kinder und Impfungen, erhielten die Famili- en eine monatliche Unterstützung sowie Beihilfen für jedes Kind. Mit diesem groß angelegten Sozialplan ist es gelungen, 44 Mio. Brasilianer/innen zu erreichen. Davon haben in den folgenden sechs Jahren 30 Mio. Menschen die Armut überwunden. Wesentlichen Anteil an der Umsetzung dieses Programms hatte Jose Grai- zano da Silva, der 2011 zum Generaldirektor der FAO gewählt wurde. Auf diese Weise wurde der mit 195 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern bevölkerungsreichs- te Staat Südamerikas zu einem Vorreiter im Kampf ge- gen die Armut. Die Landreform – überfällig, aber nach wie vor ungelöst Eines der Hauptversprechen von Lula im Wahlkampf war, eine Landreform durchzuführen. Lediglich ein Prozent der Grundbesitzer hat beinahe die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche inne. Drei Prozent verteilen sich auf drei Mio. Bäuerinnen und Bauern. Der überwiegende Teil der in der Landwirtschaft beschäf- tigten Menschen besitzt gar nichts. In dieser Frage spitzt sich der vielfach von Gewalt begleitete Konflikt weiter zu. 2003 wurden in diesem Zusammenhang doppelt so viele Morde registriert wie im Jahr zuvor. Auch die of- fiziell registrierten Landbe- setzungen stiegen drastisch an. Mit diesen Besetzun- gen von Land der großen Grundbesitzer versucht die „Bewegung der Landlosen“, eine Reform durch die Re- gierung zu erzwingen. Die- se reagierte darauf bisher allerdings mit einer Dop- pelstrategie: Einerseits werden die polizeilichen Kont- rollen verstärkt, andererseits wird den Protestierenden weiterhin versprochen, mindestens 400 000 landlosen Familien Land zuzuweisen. Ein neues Phänomen in dieser sozialen Protestbewe- gung ist, dass sich die Unzufriedenheit der Landlo- sen immer häufiger mit jener der Obdachlosen in den Städten verbindet. Viele von ihnen waren im Zuge der wachsenden Landflucht in die Städte an der Küste ge- kommen, blieben dort aber in der Regel an den Rand gedrängt. In ihrem Protest besetzen sie Häuser oder auch die Firmengelände internationaler Konzerne, wie etwa jenes von VW in São Paulo. Sie weichen oft erst dem Einsatz von Polizei. Gefährdete Natur und Umwelt Schon 1998 wurde in Brasilien versucht, die Produktion von Soja auf genetischer Grundlage einzuführen. Die- ses Vorhaben wurde nach Protesten durch einen Ge- richtsbeschluss vereitelt. 2003 ermöglichte jedoch die Regierung trotz des Widerstandes von Politikerinnen und Politikern, Bäuerinnen und Bauern, Umwelt- und Verbraucherorganisationen unter dem Druck der Lobby brasilianischer Großgrundbesitzer diesen Anbau. Soja macht 25 % der Agrarexporte Brasiliens aus. Weltweit rangiert das Land bei der Produktion von Soja an zwei- ter Stelle hinter den USA. Die Abholzung des Regenwaldes ging lange Zeit unge- hindert weiter. Erst 2009 kündigte die Regierung an, die Abholzung bis zum Jahr 2010 deutlich zu verringern. Dieses Vorhaben sieht auch den Einsatz von Militär und Polizei zur Verhinderung illegaler Abholzungen vor. Infolge der bisherigen Entwaldungen ist nämlich Bra- silien zum viertgrößten CO 2 -Emittenten weltweit aufge- stiegen. W Dilma Rousseff, Präsidentin Brasiliens seit 2011, wiedergewählt 2014, und Luiz Inácio Lula da Silva, ihr Vorgänger (Fotografie, Jänner 2011). 198 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum de Verlags öbv

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