Zeitbilder 7/8, Schulbuch

In der Tschechoslowakei bildete sich im Jahr 1968 mit dem „Prager Frühling“ eine breite Reformbewegung. Sie wur- de von Menschen aus Literatur, Kunst und Wissenschaft getragen. Sie erfasste auch die kommunistische Partei unter ihrem neuen Partei- und Regierungs- chef Alexander Dub č ek. Im August 1968 wurde sie von den Truppen des Warschauer Paktes unter der Führung der Sowjetunion gewaltsam nieder- geschlagen, die durch Kollaborateure auch von innen unterstützt wurden. Sturz der „Volksdemokratien“ Die Entwicklung in der Sowjetuni- on seit 1985 wirkte sich auch auf die „Volksdemokratien“ aus. Allerdings gab es hier auch eigenständige Bestre- bungen nach Veränderung, die bereits lange vor 1985 eingesetzt hatten. Bereits in den Siebzigerjahren kam es in Polen besonders unter den Arbeitern immer wieder zu Unruhen. 1980 bra- chen in Danzig und dann im ganzen Land Streiks aus. Unmittelbarer Anlass waren Erhöhungen der Lebensmittel- preise. Doch rasch kamen auch politi- sche Forderungen hinzu. Q 1. Die Anerkennung von Partei und Arbeitgebern unabhängigen Gewerkschaften (…). 2. Garantie des Rechts auf Streik (…). 3. Einhaltung der von der Verfassung (…) garantier- ten Freiheit des Wortes, des Drucks und (…) Zugang der Vertreter aller Glaubensrichtungen zu den Mas- senmedien. 4. (…) Freilassung aller politischen Häftlinge (…). 10. Sicherstellung einer besseren Versorgung (…) und Export nur von Überschüssen (…). (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 8. 1980, S. 2) Die Regierung gewährte Lohnerhöhungen und ge- stand die Gründung der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarno ś c“ (Solidarität) unter Lech Walesa zu. Der politische Einfluss der „Solidarität“ wurde jedoch im- mer größer, sie wurde schließlich 1981 verboten. Nach einer neuerlichen Streikwelle im Jahr 1988 einigten sich Regierung und Opposition auf einen schrittweisen Übergang Polens zu einer parlamentarischen Demokra- tie mit einem Mehrparteiensystem. Wahlen im Juni 1989 brachten der Opposition große Er- folge. Tadeusz Mazowiecki, ein Katholik und Vertreter der „Solidarität“, bildete eine Koalitionsregierung mit nicht kommunistischer Mehrheit. Lech Walesa wurde im Dezember 1990 vom Volk gewählter Staatspräsident. Im Mai 1989 ermöglichte Ungarn Zehntausenden Men- schen aus der DDR die Ausreise nach Österreich. Diese liberale Haltung hatte sich bereits seit den Sechziger- jahren vorbereitet. 1987 entstand aus verschiedenen oppositionellen Gruppen das „Ungarische Demokra- tische Forum“. Dessen Mitglieder trafen sich ab 1989 mit Vertretern der Regierungspartei zu Verhandlun- gen über Reformen. Am 18. Oktober 1989 billigte das Parlament die Abschaffung der „Volksdemokratie“. Zahlreiche neue Parteien entstanden, die Wahlen im Frühjahr 1990 brachten viele von ihnen ins Parlament. In der DDR erhob sich nach der Niederschlagung eines Aufstandes bereits im Jahr 1953 und dem Bau der Ber- liner Mauer 1961 erst in den 1980er Jahren Widerstand gegen das kommunistische Regime. Besonders inner- halb der Kirchen bildeten sich Gruppen, die trotz stren- ger Überwachung und Bespitzelung für Menschenrech- te und Frieden eintraten („Schwerter zu Pflugscharen“). Die Staatsführung lehnte jedoch jede Reformpolitik ab. Viele sahen daher in der Flucht die einzige Chan- ce, dem System zu entkommen. Die Entscheidung fiel schließlich im Herbst 1989. Unter der Parole „Wir sind das Volk“ kam es zu immer größeren Demonstrationen. Die kommunistische Staatsmacht brach zusammen. Nach demokratischen Wahlen im Jahr 1990 wurde eine Koalitionsregierung gebildet, der kein Kommunist mehr angehörte. Darüber hinaus wurde die (Wieder)verei- nigung der beiden deutschen Staaten vorbereitet. Sie wurde schließlich am 3. Oktober 1990 vollzogen. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Recherchiert in den Medien, wie die demokratischen Nachfolgestaaten der Volksdemokratien ihre kommunisti- sche Vergangenheit aufarbeiten. Diskutiert über die Ergeb- nisse eurer Recherchen in der Klasse. 2. Zähle Staaten auf, wo heute noch kommunistische Par- teien das Regierungsmonopol innehaben. W Der österreichische Außenminister Mock (links) und sein ungarischer Amtskollege Horn zer- schneiden den Stacheldrahtzaun an der Grenze. Damit brach die Fluchtwelle in den Westen los. Fotografie, 27. Juni 1989. 173 6 Internationale Politik seit 1945 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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