Zeitbilder 7/8, Schulbuch

4. Europa nach dem Krieg Neue Verträge und Bündnisse Deutschland und die Sowjetunion waren nach Kriegs- ende international isoliert: Deutschland als Kriegsver- lierer, die Sowjetunion wegen der kommunistischen Machtübernahme. Dies führte trotz aller ideologischer Gegensätze zu einer Annäherung der beiden Staa- ten. 1922 schlossen sie im italienischen Rapallo einen Handelsvertrag ab, der wenige Jahre später zu einem Freundschaftsvertrag erweitert wurde. Eine wesent- liche Rolle spielte dabei das gemeinsame Interesse an der Zerschlagung Polens. Frankreich blieb die deutsch-sowjetische Annäherung nicht verborgen. Es nahm daher engere Verbindung zu einigen Staaten im Osten Deutschlands auf, vor al- lem mit Polen. Deutschland sollte so außenpolitisch umklammert werden, gleichzeitig dem Vordringen des Bolschewismus entgegengewirkt werden. Frankreich versuchte, auch durch kleine Bündnisse mit der Tsche- choslowakei und Rumänien („Kleine Entente“), seine Stellung zu festigen. Frankreich und Deutschland – ein unüberwindbarer Gegensatz? Frankreichs innenpolitische Situation in der Zwischen- kriegszeit war gekennzeichnet von dauernden Wirt- schaftskrisen, häufigen Regierungsumbildungen und dem Kampf extrem rechter und linker Parteien. Die französische Politik gegenüber Deutschland zielte darauf ab, Sicherheit vor einem Angriff zu erhalten. Sie bestand auch darauf, dass Deutschland die festgeleg- ten Kriegsentschädigungen vollständig und pünktlich entrichtete. Als Deutschland Anfang 1923 mit seinen Reparationszahlungen in Form von Sachlieferungen an die Alliierten in Verzug geriet, besetzte Frankreich das Ruhrgebiet. Daraufhin rief die deutsche Regierung zum passiven Widerstand auf, infolgedessen kam es auf bei- den Seiten auch zu Gewalttaten. Französische Soldaten schossen auf deutsche Arbeiter, deutsche Saboteure griffen französische Posten an. Dieser Widerstand ver- ursachte Deutschland hohe Kosten, da die Regierung den Streikenden und Ausgewiesenen Unterstützungen zahlen musste. Gleichzeitig fielen die von den Franzo- sen gesperrten Steuereinnahmen aus dem Ruhrgebiet weg. So druckte die deutsche Regierung laufend neue Banknoten, um die Ausgaben decken zu können. Dies erhöhte die Geldmenge und heizte die Inflation noch weiter an: L Der Einzelfahrschein der Berliner Straßenbahn kostete vom 28. Juli bis 27. August 1923 noch 5 Mark. Nach 44 Erhöhungen erreichte er vom 22. bis zum 30. November 1923 den Preis von 150 Milliarden Mark. Für die Beförderung des Fernbriefes verlangte die Reichspost vom 1. Juli bis zum 30. September ein Porto von 6 Mark. Nach 15 Änderungen belief sich der Tarif vom 12. bis zum 30. November auf 10 Milli- arden Mark (…). Im Herbst 1923 büßte die Mark ihre letzte Aufgabe ein, nachdem sie von den Landwirten als Tauschmittel zurückgewiesen worden war. Inzwi- schen lähmten Ruhrkampf und Hyperinflation (…) die industrielle Produktion. Kurzarbeit und Massen- arbeitslosigkeit waren die Folge, die nun ihrerseits in Verbindung mit der schlechten Ernährungslage in den Städten Unruhen und Plünderungen auslösten. (Zit. nach: Blaich, Der Schwarze Freitag. Inflation und Wirtschaftskrise, 1990, S. 91) Beschreibe die sozialen und politischen Auswirkungen der Inflation in Deutschland. Unter diesen Umständen erklärte die deutsche Regie- rung im Herbst 1923 den „Ruhrkampf“ für beendet. In der Folge brachen die deutschen Staatsfinanzen völ- lig zusammen. Opfer der rapide fortschreitenden In- flation war die deutsche Mittelschicht, die Lohn- und Gehaltsempfänger. Diese Krise wurde propagandis- tisch von radikalen politischen Kräften ausgenutzt, es kam zu Putschversuchen von rechts und links: Hitler- Ludendorff-Putsch in München, Umsturzversuche der Kommunisten vor allem in Mitteldeutschland. Die Lage beruhigte sich erst nach der Währungsreform ab 1924. Neue Hoffnung für mehr politische Stabilität gab 1925 der „Locarno-Pakt“. Darin kamen der deutsche Au- ßenminister Stresemann und der französische Au- ßenminister Aristide Briand zu einer Verständigung: Deutschland gab seinen Anspruch auf Elsass-Lothrin- gen auf und erkannte die deutschen Westgrenzen an. Als Gegenleistung forderte Stresemann den Abzug der Ruhrbesetzung. Die Verhandlungen und die Vertrags- unterzeichnung fanden in Locarno in der Schweiz statt. W Inflation 1923: An der Theaterkasse des Schlossparktheaters in Ber- lin-Steglitz sind die Preise in Form von Naturalien angeschrieben (Foto vom 19. September 1923, spätere Kolorierung). 16 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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