Zeitbilder 7/8, Schulbuch

16. Die Gerichtsbarkeit Was ein moderner Rechtsstaat regelt … Einen modernen Rechtsstaat erkennt man daran, dass das gesamte öffentliche und private Leben bestimm- ten (Rechts-) Normen unterworfen ist. Das öffentliche Recht bestimmt sowohl die Grundordnung des Staates als auch das Zusammenleben der Menschen innerhalb dieser staatlichen Gemeinschaft. Einerseits muss sich das Individuum dem Gemein- wohl unterordnen und hat gewisse Pflichten zu erfül- len (z. B. Steuerzahlungen), andererseits muss der Staat die Würde und Freiheit der oder des Einzelnen achten und schützen. Wo der Staat nicht seine Hoheitsrechte ausübt, kommt das Privatrecht zur Anwendung – es be- gleitet uns von der Geburt bis zum Tod. Dazu zählen alle Rechtsgeschäfte: z. B. private (Kauf-)Verträge, Fra- gen des Schadenersatzes und des Eigentums, Adoption, Ehe, Scheidung, Erbangelegenheiten u. v.m.. Sie alle sind genauestens geregelt. Die Recht sprechende Gewalt ist ausschließlich Bundes- sache und liegt bei den Gerichten. Ihre hauptverant- wortlichen Organe sind weisungsfreie Richterinnen und Richter, die für ihre Tätigkeit von der Bundesverfassung besonders geschützt werden: Sie sind unabhängig, un- absetzbar und unversetzbar. In bestimmten Fällen sind daneben auch Vertreterinnen und Vertreter aus dem Volk an der Rechtsprechung beteiligt: Schöffinnen und Schöffen und Geschworene in den Strafgerichten, als Beisitzer tätige Laienrichterinnen und Laienrichter z. B. im Handels- und Arbeitsgericht. Die Gerichte haben im Wesentlichen drei Aufgaben: –– Entscheidungsfindung bei zivilrechtlichen Streitig- keiten; –– Lösung „nichtstreitiger“ Angelegenheiten (z. B. in Be- reichen des Familien- und Erbrechts); –– Ahndung strafrechtlicher Tatbestände. Während sich im angloamerikanischen Raum die Recht- sprechung an bereits gefällten Urteilssprüchen der Richter orientiert (= Case Law), folgt die österreichische Justiz der römisch-rechtlichen Tradition – jeder Sach- verhalt wird nach dem schriftlich festgelegten Recht beurteilt: Q § 12 ABGB Die in einzelnen Fällen ergangenen Verfügungen und die von Richter[stühle]n in be- sonderen Rechtsstreitigkeiten gefällten Urteile ha- ben nie die Kraft eines Gesetzes, sie können auf an- dere Personen nicht ausgedehnt werden. Die Strafgerichtsbarkeit Die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Schutz von Person und Eigentum waren das vor- rangige Ziel im „Ordnungsstaat“ des 19. Jh. Heute ist dies eine von vielen Aufgaben des Staates. Nach wie vor wichtiges Instrument dieser Ordnungs- und Schutz- funktion aber ist die Strafgerichtsbarkeit. Nach juristi- scher Auffassung sollen Strafen –– die Allgemeinheit vor Straftaten abschrecken (= Ge- neralprävention); –– die Täterin oder den Täter vor einem Rückfall bewah- ren (= Spezialprävention); –– die Wiedereingliederung der Täterin oder des Täters in die Gesellschaft ermöglichen (= Resozialisierung). Das Jugendgerichtsgesetz Kinder und Jugendliche unter vierzehn Jahren gelten nach österreichischem Recht als „strafunmündig“. Wenn sie Straftaten begehen, kommen keine Strafen, sondern Erziehungsmaßnahmen zur Anwendung (z. B. Fürsor- geaufsicht, Heimeinweisung). Jugendliche zwischen dem vollendeten 14. und 18. Lebensjahr unterliegen dem Jugendgerichtsgesetz. Auch „junge Erwachsene“ zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr dürfen mit einer milderen Behandlung vor dem Strafrichter rechnen. Der Leitgedanke des Jugendstrafrechts ist Besserung und Erziehung nicht durch Strafe, sondern mit ande- ren Mitteln: Trotz eines einmal begangenen Unrechtes sollen junge Straftäter/innen nicht „kriminalisiert“ wer- den. Es sieht dafür u. a. folgende Möglichkeiten vor: –– Straflosigkeit bei (leichten) Vergehen für Jugendliche unter 16 Jahren. –– Die so genannte Diversion, das bedeutet die Einstel- lung des Strafverfahrens aufgrund von a) Zahlung eines Geldbetrages (ohne Eintragung ins Strafregister), b) Erbringung gemeinnütziger Leistungen (z. B. Ar- beit im Altenheim), c) außergerichtlichem Tatausgleich (ATA): Wenn ein Tatverdächtiger seine Tat eingesteht und das Op- fer eine Schadensgutmachung akzeptiert, kann die Staatsanwaltschaft (oder das Gericht) auf eine Straf- verfolgung verzichten. Dieser Tatausgleich kann bei allen Straftaten angewendet werden, wenn die damit verbundene Strafandrohung im Erwachsenenstraf- Staatliche Rechtsordnung Öffentliches Recht Privatrecht = Zivilrecht Arbeitsrecht Sonderprivatrecht (z. B. Unternehmensrecht) Verfassungsrecht Besonderes Verwaltungsrecht (z. B. Gewerbe- u. Schul- recht, Straßenverkehrs- ordnung u. v. a.) Verfahrensrecht (z. B. Straf- und Zivilprozessrecht) Strafrecht Steuerrecht Sachenrecht (z. B. Eigentumsrechte) Schuldrecht Erbrecht Familienrecht 140 N r zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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