Zeitbilder 7/8, Schulbuch

3. Fotografien analysieren Propaganda in der Sowjetunion Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde Russland unter Lenin zu einer kommunistischen Diktatur umgebaut. Zu den Mitteln, die verwendet wurden, gehörte auch der Einsatz von Gewalt und Terror. Bereits im Dezember 1917 wurde von Lenin eine Geheimpolizei gegründete. Sie wurde bis 1922 „Tscheka“ ge- nannt, dann in GPU und später in KGB umbenannt. Vor allem unter der stalinistischen Herrschaft wurde die Geheimpolizei für Massenerschießungen, Verhaftungen und Folterungen von wirklichen und vermeintlichen „Klassengegnern“ und zur Durchführung der Deportationen (gewaltsame staatliche Verbringung von Menschen) von Menschen in Lager (Gulags) eingesetzt. Kennzeichnend für den Umbau des zaristischen Russland in die kommunistische Sowjetunion ist neben Gewaltmaßnahmen aber auch die massive Entfaltung von politischer Propaganda. Diese Propaganda zielt darauf ab, systematisch Meinungen zu manipulieren und das Verhalten von Menschen im Sinne der herrschenden Ideologie bzw. Partei zu steuern. In der Sowjet­ union basierte die politische Propaganda auf der von Lenin entwickelten Lehre des Marxismus-Leninismus. Sie versuchte, diese Linie der kommunistischen Partei im Staat und bei der Bevölkerung mit allen Mitteln durchzusetzen. Dazu gehörten Terror und eine Zensur, die jede oppositionelle oder kritische Haltung gegenüber der Partei unterdrückte. Daneben wurde po- litische Propaganda durch Zeitungen, Radio und Filme, Litera- tur und Kunst, in Schulen und durch politische Veranstaltungen verbreitet. Die Propaganda schuf auch das Bild eines „neuen sowjetischen Menschen“: Dieser stellte mit Opferbereitschaft und großem Arbeitseifer seine persönlichen Bedürfnisse zurück zugunsten des Aufbaus einer kommunistischen, klassenlosen Gesellschaft. Die kommunistischen Führer Lenin und Stalin wurden selbst zum Gegenstand politischer Propaganda. Schon zu Lebzeiten wurde Lenin von der Partei zu einem „Übermenschen“ erho- ben. Nach seinem Tod 1924 organisierte die kommunistische Parteileitung eine geradezu kultische Verehrung. Sein Leich- nam wurde einbalsamiert und wird bis heute im „Lenin-Muse- um“ in Moskau ausgestellt. Stalin, den Lenin in seinem politi- schen Testament als „groben Menschen“ kritisiert hatte, wurde sein Nachfolger. Er übertraf ihn an Selbsterhöhung durch einen unglaublichen „Personenkult“ (vgl. auch Kapitel 8.3, S. 30 f.). Zum Einsatz propagandistischer Mittel in den Anfangsjahren der Sowjetunion gehörte auch die gezielte Verbreitung von Fo- tos mit politischen bzw. ideologischen Botschaften. Einige von ihnen sind bewusste Fälschungen. Dies war allerdings nichts Neues: Fotomanipulationen gibt es fast schon so lange wie die Fotografie selbst. Bereits im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) wurden Fotos gefälscht. Auch Hitler, die chinesi- sche KP und auch die Westalliierten stellten Fotofälschungen her. Frühe technische Mittel waren Bildübermalungen, Bild- ausschnitte, falsche Untertitel. Auf Fotos und in sowjetischen Filmen wurden auch Szenen nachgestellt und für real ausgege- ben. Stalin ließ immer wieder Doppelgänger, oft Schauspieler, an seiner Stelle in Filmen auftreten und auf Fotos abbilden. Eine der häufigsten Techniken bei Fotofälschungen sind Mon- tagen: Ein Foto wird aus zwei oder mehreren Darstellungen zusammengesetzt. Stalin ließ auch in Ungnade gefallene Per- sonen aus gemeinsamen Fotos wegretuschieren (entfernen). Das prominenteste Opfer solcher Bildlügen war Leo Trotzki (1879–1940). Als ein führender Revolutionär in der Oktober- revolution wurde er Volkskommissar für Auswärtige Angele- genheiten sowie Kriegskommissar und organisierte die „Rote Armee.“ Nach Lenins Tod brach zwischen Stalin und Trotzki schließlich ein offener Machtkampf aus. Trotzki verlor immer mehr an Einfluss, 1929 musste er ins Exil gehen. Auf Befehl Stalins wurde er 1940 von einem sowjetischen Agenten in Mexiko ermordet. Stalin hatte Trotzkis Namen aus allen offizi- ellen Dokumenten entfernen lassen. Fotos, die ihn zusammen mit ihm oder Lenin zeigten, wurden retuschiert (verändert). So sollte er aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwinden. Auch mit Hilfe von Fotomanipulationen gelang es Stalin also, der Be- völkerung eine gefälschte Version der sowjetischen Geschichte einzuprägen. W Foto 1: Grigori Goldstein machte diese Aufnahme von einer Rede Lenins am 5. Mai 1920 vor dem Bolschoi-Theater in Moskau. Lenin steht auf ei- nem Holzpodium und spricht zu den Truppen. Unter ihm an der Tribüne stehen zwei Männer, die nach ihm noch sprachen: Trotzki (vorne) und Lew. B. Kamenew (1883–1936), sein Schwager und sowjetischer Politiker. Bei- de fielen unter Stalin in Ungna- de. Kamenew wurde 1936 im ersten Schauprozess zum Tod verurteilt und hingerichtet. 14 Methode – Kompetenztraining Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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