Zeitbilder 7/8, Schulbuch

15. Selbstverwaltung und Zivilgesellschaft Das Prinzip der Selbstverwaltung Bestimmte öffentliche Körperschaften unseres Staates sind mit dem Recht zur Selbstentscheidung und Selbst- verantwortung durch eigene demokratisch organisierte Organe ausgestattet. Sie leisten damit einen wesentli- chen Beitrag zur Staatsverwaltung. Im Bereich der sozi- alen Verwaltung sind das die Sozialversicherungsträger, in der beruflichen Selbstverwaltung die „Kammern“, in der kulturellen Selbstverwaltung die Universitäten so- wie die Hochschülerschaft. Die Gemeinden – ein Beispiel der Selbstverwaltung Einen wesentlichen Beitrag zur Selbstverwaltung leis- ten auch die ca. 2 300 österreichischen Gemeinden (= kommunale Selbstverwaltung): Q Art. 116 (1) B-VG Jedes Land gliedert sich in Ge- meinden. Die Gemeinde ist Gebietskörperschaft mit dem Recht auf Selbstverwaltung und zugleich Verwaltungssprengel. Jedes Grundstück muss zu ei- ner Gemeinde gehören. Meist größere (Orts-)Gemeinden dürfen die Bezeich- nung „Markt“ oder „Stadt“ führen, haben deshalb aber keine rechtliche Sonderstellung. Eine Ausnahme bilden die „Städte mit eigenem Statut“: Dazu zählen alle Lan- deshauptstädte (außer Bregenz), die Städte Rust, Wr. Neustadt, Krems, Waidhofen/Ybbs, Wels, Steyr und Vil- lach. Sie haben nicht nur die unten angeführten Aufga- ben einer Gemeinde, sondern auch die Aufgaben einer Bezirksverwaltung (d. h. die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister ist gleichzeitig Bezirkshauptfrau oder Bezirkshauptmann, der Magistrat auch Bezirksverwal- tungsbehörde). Eine Sonderstellung nimmt die Bundes- hauptstadt Wien ein: Sie ist zugleich Bundesland und Statutarstadt, d. h. die Bürgermeisterin oder der Bür- germeister ist zugleich Landeshauptfrau oder Landes- hauptmann, der Gemeinderat auch Landtag, der Stadt- senat auch Landesregierung. Der „Wirkungsbereich“ der Gemeinden Laut Verfassung verfügen die Gemeinden über einen „eigenen Wirkungsbereich“ für alle Angelegenheiten, „die im ausschließlichen oder überwiegenden Inter- esse“ der Gemeinde liegen und von ihr auch geleistet werden können. Dazu zählen u. a.: –– Die Wirtschaftsfreiheit: Jede Gemeinde führt eigene Unternehmen (z. B. Müllabfuhr, Schwimmbad, Kin- dergarten etc.). –– Die „Haushaltsführung“: Die Gemeinden müssen ihr Budget selbstständig abwickeln und können zu seiner Finanzierung auch eigene Abgaben (z. B. die Grund-, Gewerbe-, Vergnügungssteuer) einheben. –– Hoheitliche Tätigkeiten: Das sind die behördlichen Aufgaben der Gemeinde für Sicherheit und Gesund- heit sowie für die örtliche Raumplanung (Erstellen von Flächenwidmungsplänen, Erteilung von Bauge- nehmigungen). Die Gemeinden haben aber auch einen „übertragenen Wirkungsbereich“: Darunter versteht man alle Verwaltungsgeschäfte, wel- che die Gemeinden im Auftrag von Bund und Ländern als unterste, weisungsgebundene Instanz ausüben (z. B. das Meldewesen, die Durchführung der Wahlen). Die Gemeinden bekommen im so genannten Finanz- ausgleich von Bund und Ländern die finanziellen Mit- tel, mit denen sie einen Großteil ihrer vielen, teilwei- se sehr kostenintensiven Aufgaben (dazu zählen auch Schulerhaltung, Umweltschutzanlagen, Kanalisation) erfüllen können. Die Zuteilung dieser Gelder erfolgt unter anderem nach der Höhe der Einwohner/innen- zahl. Es gibt reiche und viele arme Gemeinden. Zu den finanzschwachen und z. T. hoch verschuldeten zählen besonders jene, die weder Fremdenverkehr noch Be- triebsansiedlungen in ihrem Gemeindegebiet haben und denen damit wichtige Einnahmequellen (Steuern) fehlen. Gemeindevertretung und Bürgermeisteramt Das beschließende und kontrollierende Organ der Ge- meinde ist der Gemeinderat. Er wird wie Nationalrat oder Landtag nach dem Listenwahlrecht direkt ge- wählt. Entsprechend dem Stärkeverhältnis der Parteien (= Proporzsystem) wählt dieses „Gemeindeparlament“ die „Gemeinderegierung“ (= Gemeindevorstand, in Städten der Stadtrat oder Stadtsenat). Die Bürgermeis- terin oder der Bürgermeister leitet die gesamte Ge- meindeverwaltung und führt den Vorsitz im Gemein- derat und im Gemeindevorstand. Sie oder er allein ist im übertragenen Wirkungsbereich Bund und Land und im eigenen Wirkungsbereich dem Gemeinderat gegen- über verantwortlich. Gegen ihre oder seine Entschei- dung kann beim Gemeinderat Berufung eingelegt wer- den, wird sie auch dort abgelehnt, kann man bei der Bezirksverwaltungsbehörde oder der Landesregierung vorstellig werden. Nur in Niederösterreich, Steiermark und Wien werden die Bürgermeisterinnen oder Bürgermeister noch vom Gemeinderat gewählt (Stand: 2012). In den anderen Bundesländern werden sie mittlerweile direkt gewählt. Diese (Persönlichkeits-)Wahl findet gleichzeitig mit den Gemeinderatswahlen statt. Kandidatinnen und Kandi- daten, die mehr als die Hälfte aller abgegebenen Stim- men erhalten, können so direkt zum Gemeindeober- haupt gewählt werden – unabhängig vom Kräftever- hältnis der Parteien im Gemeinderat. Wo es im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit gibt, treten die beiden stimmenstärksten Kandidatin- nen und Kandidaten zwei Wochen später zur Stichwahl an. Ähnlich wie bei den Nationalratswahlen (vgl. S. 125) können die Wählerinnen und Wähler auch bei den Ge­ meinderatswahlen Vorzugsstimmen abgeben. So haben auch jene Kandidatinnen und Kandidaten, die von ih- ren Parteien an aussichtsloser Stelle gereiht sind, die Chance auf einen Platz im Gemeinderat. 138 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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