Zeitbilder 7/8, Schulbuch

ten). Grundsätzlich sind alle Verwaltungsorgane zur „Amtsverschwiegenheit“ verpflichtet – aus Staatsinter- esse oder um die Interessen anderer Personen zu schüt- zen. Verwaltung und Gesetzesflut – für Laien oft undurchschaubar Q Art. 18 (1) B-VGDiegesamte staatlicheVerwaltung darf nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden. (2) Jede Verwaltungsbehörde kann aufgrund der Ge- setze innerhalb ihres Wirkungskreises Verordnungen erlassen. Absatz 1 dieses Verfassungsartikels bindet die Verwal- tung ausdrücklich an die bestehenden Gesetze. Doch die Verwaltung findet mit den im Parlament beschlosse- nen Gesetzen – von 1945 bis 1990 waren das insgesamt 4 700 (!) – nicht das Auslangen. Die obersten Verwal- tungsorgane können durch Verordnungen Gesetze bis ins Detail regeln oder sich durch „Kann-Bestimmun- gen“ einen breiten Ermessensspielraum schaffen. Weil man aber die Verwaltung möglichst eng an die Geset- ze binden will, scheint mit jedem neuen Problem ein Anwachsen der Gesetze einherzugehen. Diese Geset- zesflut ist für Laien schon seit Jahrzehnten nicht mehr durchschaubar: L Die Klagen über die Bürokratie, über zu viele Gesetze und zu starke Reglementierung des Bür- gers nehmen zu. (...) Wer 1966 ein Haus baute, hat- te 48 Rechtsvorschriften zu beachten, 1978 waren es schon 250. (...) Man muss (…) auch auf eine Mentalität der leitenden Bürokratie hinweisen: Sie meint, sie wisse alles bes- ser, (...) müsse mangelnde Einsicht durch staatliches Gebot ersetzen. Deshalb genügt ihr nicht die Emp- fehlung, sich im Fahrzeug anzugurten, sondern sie ruft nach der gesetzlichen Pflicht. (...) Die Sprache der Juristen hat sich immer schon von der normaler Menschen unterschieden. (...) Die Kritik an schlechtem Stil und unverständlicher Sprache ist nicht neu. Manche Formulierung ist wirklich unsin- nig. So heißt es in der für „gewerbliche Hilfsarbeiter“ noch immer [Stand: 2011] geltenden Gewerbeord- nung aus dem Jahr 1859: §83: Durch das Aufhören des Gewerbebetriebes oder durch den Tod des Hilfs- arbeiters erlischt das Arbeitsverhältnis von selbst. Doch ist im Falle der vorzeitigen Entlassung des Hilfsarbeiters, sei es in Folge freiwilligen Aufgebens des Gewerbes oder in Folge eines Verschuldens des Gewerbeinhabers oder eines diesen treffenden Zu- falls der Hilfsarbeiter berechtigt, für den Entgang der Kündigungsfrist Schadloshaltung zu beanspruchen. (Nach: Schmölz, Gesetzesflut und Gesetzesentrümpelung; in: Gerlich/ Müller, 1988, S. 36 ff.) Das allgemeine Verwaltungsverfahren Für jedes Verwaltungsverfahren gelten folgende Grundsätze: –– Parteienöffentlichkeit: Am Verfahren dürfen nur beteiligte Parteien und ihre Vertreter teilnehmen. –– Parteiengehör: Die Parteien müssen ausreichend Möglichkeit zur Wahrung ihrer Rechte bzw. Interes- sen haben. –– Beweisaufnahme und freie Beweiswürdigung: Zur Feststellung des Sachverhalts muss die Behörde in ei- nem Ermittlungsverfahren alle notwendigen Beweise sammeln, um nach freiem Ermessen eine rechtliche Beurteilung treffen zu können. Aufgrund dieser Beurteilung erlässt die Behörde dann einen Bescheid: Er enthält den „Spruch“ mit der ent- sprechenden Begründung und eine Rechtsmittelbeleh- rung. Wird gegen den Bescheid „Berufung“ eingelegt, muss die Behörde längstens binnen sechs Monaten eine Entscheidung fällen. Versäumt sie dies, kann der Un- abhängige Verwaltungssenat und in letzter Instanz der Verwaltungsgerichtshof (vgl. S. 142) angerufen werden. Werden im Bescheid gesetzwidrige Verordnungen oder verfassungswidrige Gesetze angewendet oder ein verfas- sungsmäßig garantiertes Recht verletzt, kann Beschwer- de beim Verfassungsgerichtshof eingelegt werden. Das Verwaltungsstrafverfahren Wer mit dem Moped bei Rot über die Kreuzung fährt, unerlaubt eine Waffe besitzt oder ohne Gewerbebe- rechtigung ein Geschäft betreibt, der macht sich einer Verwaltungsübertretung schuldig. Bei geringfügigen Übertretungen, z. B. der Straßenverkehrsordnung, ist mit der Bezahlung eines „Organmandates“ das „Ver- fahren“ beendet. Bei schwereren Delikten (z. B. Lenken eines Fahrzeuges in alkoholisiertem Zustand) kommt es aufgrund einer „Anzeige“ zur Einleitung eines ordent- lichen Verwaltungsstrafverfahrens (ca. 90% davon sind Verkehrsdelikte). Deshalb gibt es für weniger schwere Übertretungen der Straßenverkehrsordnung die so ge­ nannte Anonymverfügung: Sie gilt für den Fall, dass die Täterin oder der Täter unerkannt bleibt. Bei einer Radarüberwachung z. B. erkennt man nur das Kennzei- chen, nicht die Lenkerin oder den Lenker eines Fahr- zeugs. Die Anonymverfügung wird dann der Fahrzeug- halterin oder dem Fahrzeughalter zugestellt. Wird die Geldstrafe (max. 220 Euro) nicht binnen vier Wochen bezahlt, wird ebenfalls ein Strafverfahren eingeleitet. Im Gegensatz zum gerichtlichen Strafverfahren ist das Verwaltungsstrafverfahren ein „Inquisitionsverfahren“: Die Behörde ist zugleich „Ankläger“ und „Richter“. Bei einem Straferkenntnis kann es zur Verhängung von Geld- und (eher selten) Freiheitsstrafen sowie zum Ver- fall von Gegenständen (z. B. Schmuggelgut) kommen. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Ist es deiner Meinung nach richtig, wenn der Staat mög- lichst alle Lebensbereiche gesetzlich bis ins Detail regelt; was spricht dafür, was dagegen? 2. Fasse zusammen, welche Aufgaben derzeit unter die staatliche Verwaltung fallen. Führt in der Klasse eine Dis- kussion darüber, ob der Staat a) noch „schlanker“ werden, b) wieder mehr Aufgaben übernehmen, c) es bei den der- zeitigen Aufgaben belassen soll. 137 4 Österreich – die Zweite Republik Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=