Zeitbilder 7/8, Schulbuch

13. Die Sozialpartnerschaft Die österreichische Politik wird schon seit der Ersten, stärker aber in der Zweiten Republik von den Verbän- den der Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen mitbestimmt. Sie sind bis heute sehr eng mit den beiden Parteien ÖVP und SPÖ verflochten. Organisationen der Arbeitgeber/innen: 1848 wurden die Handelskam- mern gegründet, die seit 1993 „Wirtschaftskammern“ genannt werden. Sie sind in sieben Sparten gegliedert: Gewerbe und Handwerk, Industrie, Handel, Bank und Versiche- rung, Transport und Verkehr, Tourismus und Freizeit- wirtschaft, Information und Consulting. Auf Bundes- ebene vertritt die WKÖ die Interessen ihrer (ca. 428000) Mitglieder, auf Landeseben die 9 Landeskammern. Alle selbstständig Erwerbstätigen (von Ein-Personen-Unter- nehmen bis zu Aktiengesellschaften) sind per Gesetz Mitglieder dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Bereits zur Zeit der Ersten Republik entstanden in den Bundesländern Landwirtschaftskammern. Die 9 Lan- deskammern haben sich mit dem Ös- terreichischen Raiffeisenverband auf Bundesebene als Verein „Präsidentenkonferenz der Landwirtschafts- kammern Österreichs“ (Landwirtschaftskammer Öster- reich) zusammengeschlossen. Gesetzliche Mitglieder sind v.a. alle in der Land- und Forstwirtschaft selbst- ständig hauptberuflich Erwerbstätigen und alle neben- beruflichen Landwirte. Die „Vereinigung der österreichi- schen Industrie“, deren älteste Vor- gängerorganisation der 1862 ge- gründete „Verein der Industriellen“ war, vertritt als frei- er Verein (ohne Fraktionen, ohne Zwang zur Mitglied- schaft) die speziellen Interessen der industriellen Unter- nehmen. Die Industriellenvereinigung mit ihren etwa 2 000 Mitgliedern ist eng mit der Bundessparte Industrie verflochten. Sie hat seit dem EU-Beitritt deutlich an Ein- fluss gewonnen. Organisationen der Arbeitnehmer/innen: 1920 wurden die „Kammern für Arbeiter und Angestellte“ eingerichtet: Auch die Arbeiterkammern sind öffentlich-recht- lich, d. h. auf gesetzlicher Grundlage or- ganisiert. Es besteht für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (mit Ausnahme der Beamtinnen und Be- amten und den in der Landwirtschaft Beschäftigten) Pflicht zur Mitgliedschaft. Aufgabe der Arbeiterkam- mern ist die Vertretung der beruflichen, sozialen, wirt- schaftlichen und kulturellen Interessen ihrer Mitglieder sowie der Konsumentenschutz. Der Österreichische Gewerkschafts- bund wurde 1945 als überparteilicher Verein gegründet. Er löste die verschiedenen, jeweils einer Partei zugehörigen „Richtungsgewerkschaften“ der Ersten Republik ab. Diese Einheitsgewerkschaft wird streng zentralistisch geführt und besteht seit dem Jahr 2010 aus 7 untergeordneten Einzelgewerkschaf- ten. Die Zahl der ÖGB-Mitglieder hat seit Mitte der 1980er-Jahre kontinuierlich und deutlich abgenommen (1990: 1 664 841; 2010: 1 211 111 Mitglieder), obwohl die Zahl der Beschäftigten im selben Zeitraum zuge- nommen hat. Waren 1993 noch 42% aller unselbststän- dig Erwerbstätigen Gewerkschaftsmitglieder, so zahl- ten im Jahr 2010 nur noch knapp 30% der Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer freiwillig ihren Mitglieds- beitrag (1% des Bruttolohnes) an den ÖGB. Die Gründe für den (anhaltenden) Mitgliederrückgang sind vielfäl- tig. Sie liegen vor allem in der Zunahme der so genann- ten atypischen Beschäftigungsverhältnisse (geringfügi- ge oder Teilzeitbeschäftigung, Leih- und Heimarbeit, Werkvertrag), aber auch in der, im Vergleich zu frühe- ren Jahren, hohen Arbeitslosenrate. Die Parteien dominieren auch in den Verbänden Auch in den formal überparteilichen Kammern sind Mitglieder der Parteien bzw. ihrer Vorfeldorganisatio- nen die bestimmenden Akteure. Die Führungsgremi- en werden durch direkte Wahl aller wahlwerbenden Gruppen gebildet. In den Wirtschafts- und Landwirt- schaftskammern dominieren ÖVP-Wirtschaftsbund bzw. ÖVP-Bauernbund in allen Bundesländern klar. In den Arbeiterkammern „regieren“ die Sozialistischen Gewerkschafter – nur in Tirol und Vorarlberg hat die ÖVP-Teilorganisation ÖAAB eine Mehrheit. Der von der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter do- minierte ÖGB führt bislang noch keine direkten Wah- len durch (abgesehen von einzelnen Teilbereichen). Die Stärkeverhältnisse der Fraktionen in den Einzel- gewerkschaftern sowie im Präsidium ergeben sich aus der (z. T. umstrittenen) Umlegung von Betriebsrats- und Personalvertretungswahlen. Sozialpartnerschaft und Paritätische Kommission Wirtschaftliche und politische Gründe führten seit 1947 zur Zusammenarbeit der großen Verbände. Begonnen hat sie mit dem 1. Preis-Lohn-Abkommen (vgl. S. 110). Damit sollte vor allem wirtschaftliche Stabilität und so- zialer Frieden erreicht werden. Im Jahre 1957 wurde aus dieser fallweisen Zusammenarbeit dieser Interes- senvertretungen – ÖGB, WKO, Bundesarbeiterkammer, Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern – eine ständige Einrichtung: die Paritätische Kommissi- on für Lohn- und Preisfragen. Sie wurde später um den „Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen“ sowie um den „Unterausschuss für internationale Fragen“ erweitert. Die Paritätische Kommission wurde jedoch seit 1998 nicht mehr einberufen. Sie funktioniert(e) ohne gesetz- liche Regelung nach den von den Sozialpartnern selbst festgelegten „Spielregeln“. Für alle Beschlüsse in der nicht öffentlichen „Vollversammlung“ (unter dem Vor- 134 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=