Zeitbilder 7/8, Schulbuch

mit 24 Prozent das schlechteste Wahlergebnis seit ihrer Gründung. Auch die SPÖ verlor seit 1990 fast bei al- len Nationalratswahlen und erreichte 2013 gerade noch knapp 27 Prozent. Profitiert hat aus dieser Entwicklung vor allem die FPÖ, die zwischen 1986 und 1999 bei jeder Wahl Mandate dazu gewann. Sie erzielte 1999 mit 27 Prozent einen historischen Höchststand, obwohl sich 1993 das Liberale Forum (LIF) von ihr abspaltete. Als Re- gierungspartei erlebtedieFPÖeinendeutlichenAbsturz. Doch trotz einer neuerlichen Parteispaltung durch die Neugründung des „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ) im Jahr 2005 konnte sie bei den Wahlen 2008 und 2013 dazugewinnen. Das BZÖ jedoch ist seit 2013 ebenso wie das LIF (seit 1999) nicht mehr im Nationalrat vertreten. Die Grünen sind seit ihrem Einzug in den Nationalrat 1986 als „Kleinpartei“ in der österreichischen Partei- enlandschaft fest verankert. Dagegen erhält die KPÖ, einstmals „vierte Kraft“ im Land, bei Nationalrats- wahlen seit den 1980er-Jahren nicht einmal mehr ein Prozent der Stimmen. Allerdings ist sie immer wieder in einigen österreichischen Gemeinderäten (z. B. auch in der Stadtregierung von Graz) und seit 2005 auch im steirischen Landtag vertreten. Seit 2013 sind jedoch zwei neue Parteien in den Natio­ nalrat eingezogen: die Liste FRANK, die vom austro- kanadischen Unternehmer Frank Stronach gegründet wurde, und die Liste NEOS, die von Matthias Strolz an- geführt wird. Zur Entwicklung der österreichischen Parteienland- schaft meinte schon 1993 der Politikwissenschafter An- ton Pelinka: L Österreich wird immer weniger Österreich, wenn Österreich heißt, dass Politik nichts anderes als SPÖ und ÖVP sowie die Sozialpartnerschaft zweier Präsidenten bedeutet. (...) Österreich hat sich viel- mehr in allen nachvollziehbar messbaren Werten Westeuropa angenähert. Die Wahlbeteiligung nimmt von einer österreichischen Höhe ab und geht in die Richtung einer westeuropäischen Normalität. Die Zahl der im Parlament vertretenen Parteien ist noch immer gering – aber es spricht mehr Wahrscheinlich- keit dafür, dass im Parlament des Jahres 2000 sechs (...), als dass drei Parteien sitzen werden. (Pelinka, Die Studentenbewegung ...; in: Wendepunkte und Kontinui- täten, 1998, S. 157) Beurteile, welche Voraussagen des Politologen eingetrof- fen sind bzw. wo er sich geirrt hat. Das österreichische Meinungsforschungsinstitut IMAS kam im Jahr 2011 aufgrund einer Umfrage zu diesem Ergebnis: ´ L Hauptgründe für die spätestens ab 1990 total ver- änderte Parteienlandschaft sind zum einen das breiter gewordene Spektrum der politischen Mitbe- werber, mindestens so sehr aber auch die völlig anders gestaltetenRahmenbedingungenundProblemstellun- gen der Politik. Überalterung, Globalisierung, Wan- derungsbewegungen, ethnische Vermischung, di- gitale Revolution, neue Informationstechnologien, europäische Verklammerung, Klimawandel, konfes- sionelle Vielfalt etc. haben grundlegend neue Fragen aufgeworfen. Es geht heute nicht mehr um Vertei- lungskämpfe allein, sondern um ein ganzes Bündel neuer Probleme (…) (…) die Gesellschaft, wie sie von Karl Marx (…) be- schrieben wurde, gibt es heute nicht mehr. Wir ha- ben es jetzt mit einer Wählerschaft zu tun, die ihre Klassenbindung (…) verloren hat. Die Volksparteien traditionellen Zuschnitts leiden zugleich am Abster- ben ihrer Kernmilieus [= Stammwählerschichten]. Ein Reflex der Parteien auf die Schwierigkeit, Ge- genwartsprobleme zu lösen, besteht augenscheinlich darin, politische Entscheidungen in Form von Volks- abstimmungen zunehmend den Wählern selbst zu überantworten. Zwar befürworten 38 Prozent der Ös- terreicher vorbehaltlos die Mitwirkung aller Bürger bei politischen Entscheidungsprozessen, doch gibt es (…) nur eine begrenzte Zahl von Problemen, bei denen ein wirklich spontanes Verlangen besteht, per- sönlich mitzureden. Was die Bevölkerung im Grun- de mehr wünscht, als eine Ja-Nein-Demokratie, sind klare Orientierungen, politischer Vorausblick und die Erkennbarkeit von Konzepten. (IMAS International, Abschied von Wählern und Milieus, Nr.2, 2011, S. 2) Fasse in eigenen Worten zusammen, welche neuen politi- schen und gesellschaftlichen Fragestellungen sich in den letzten Jahrzehnten ergeben haben. Nimm Stellung dazu: Sollte es über politische Fragen / Probleme öfter Volksabstimmungen geben oder sollten die gewählten Politiker/innen darüber entscheiden? „Allerweltsparteien“ statt Lagerparteien Die Wählerbasis der österreichischen (Groß-)Parteien hat sich durch die tief greifenden gesellschaftlichen Ver- änderungen in der zweite Hälfte des 20. Jh. deutlich ge- ändert. Bäuerinnen und Bauern, Gewerbetreibende und die Industriearbeiterschaft gingen zahlenmäßig stark zurück. Eine neue Mittelschicht der Angestellten (im Dienstleistungs- und öffentlichen Sektor) wuchs kräftig an. Das bedeutete aber für die ehemaligen „Lagerpar- teien“ der Ersten Republik einen massiven Rückgang ihrer Stammwähler/innen aus den Kernschichten (ÖVP: Bäuerinnen und Bauern, Selbstständige; SPÖ: Arbei- ter/innen). Diese neue Mittelschicht fühlt sich ideo- logisch nicht mehr eng an eine Partei gebunden. Des- halb nimmt auch die Gruppe der Wechselwähler/innen weiter zu. Die Wechselwähler/innen, von denen sich viele erst in den letzten Tagen vor einer Wahl für eine Partei entscheiden (1979: 9%; 2008: 33%), sind heute wahlentscheidend. Auf sie nehmen die Parteien in ihren (Wahl- und Partei-)Programmen Rücksicht, sie will man über die Medien (Interviews, Studiokonfrontationen der Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten) gewin- nen. Diese Parteien haben sich zu nach allen Seiten of- fenen „Allerwelts-“ oder „Volksparteien“ (engl. Catch- All-Parties) entwickelt, die Jahr für Jahr bei Wahlen um Stimmen und den schnellen Erfolg kämpfen müssen. Ähnlich wie in den USA stehen daher bei Wahlen immer weniger Sachthemen als vielmehr Personen im Mittel- 132 Nur zu Prüfzwecken – Ei entum des Verlags öbv

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