Zeitbilder 7/8, Schulbuch

–– Das bundesstaatliche Prinzip Q Art. 2 (1) B-VG Österreich ist ein Bundesstaat. (2) Der Bundesstaat wird gebildet aus den selbst- ständigen Ländern. (…) Art. 15 (1) B-VG Soweit eine Angelegenheit nicht ausdrücklich durch die Bundesverfassung der Ge- setzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist, verbleibt sie im selbstständigen Wir- kungsbereich der Länder. Dieses Prinzip bedeutet die Aufteilung der Staatsgewal- ten (Gesetzgebung und Vollziehung) zwischen Bund und Ländern. Die Gerichtsbarkeit jedoch ist ausschließ- lich Bundessache. Die Länder haben über die zweite Kammer des Parlaments, den Bundesrat, ein sehr ge- ringes Mitwirkungsrecht an der Bundesgesetzgebung – nämlich in Form eines aufschiebenden Vetos gegen Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates. Auch sonst liegt das Übergewicht beim Bund (z. B. äußere Angelegen- heiten, Bundesfinanzen, Banken- und Kreditwesen, Polizei- und Verkehrs-, Schul- und Vereinswesen). Die Kompetenzen (= Zuständigkeiten) der Länder sind be­ scheiden. Ihre wichtigsten sind: Raumplanung, Bauwe- sen, Sozialwesen, Natur- und Jugendschutz. –– Das rechtsstaatliche Prinzip Q Art. 18 (1) B-VG Die gesamte staatliche Verwal- tung darf nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden. In einem Rechtsstaat ist der Gesetzgeber an die Ver- fassung gebunden. Die Vollziehung (= Verwaltung und Gerichtsbarkeit) wiederum ist an die bestehen- den Gesetze gebunden. Die Einhaltung dieses so ge- nannten Legalitätsprinzips überwachen als oberste Kontrollinstanzen der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof (vgl. S. 142). Die/der ein- zelne Bürger/in hat zur Durchsetzung ihrer/ seiner Rechte die Möglichkeit, gegen Entscheidungen (= Be­ scheide) der Verwaltungsbehörden (z. B. Finanzamt, Bezirkshauptmannschaft, Landes- oder Stadtschulrat) und Urteile der Gerichte Rechtsmittel (Beschwerde, Be- rufung) zu ergreifen. –– Das Prinzip der Gewaltentrennung Q Art. 94 B-VG Die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt. Schon seit der Aufklärung wird die Trennung der drei klassischen Staatsgewalten Gesetzgebung (Legislati- ve), Verwaltung (Exekutive) und Gerichtsbarkeit (Judi- kative) gefordert. Sie soll die Bürgerinnen und Bürger vor der Übermacht und Willkür des Staates schützen. Die Gewaltentrennung wird in der österreichischen Verfassung nicht lückenlos durchgeführt. Vor allem wi- derspricht ihr die politische Praxis, dass jene politischen Entscheidungsträger (Parteien), die die Verwaltung (Re- gierung) leiten, auch die Mehrheit in der Gesetzgebung (Nationalrat) bilden. Die Gerichtsbarkeit wird von un- abhängigen Richterinnen und Richtern ausgeübt. Verfassung und Verfassungswirklichkeit Die Entwicklung in der Zweiten Republik hat dazu ge- führt, dass die Verfassung aus dem Jahr 1920 die po- litischen Prozesse der Gegenwart (= Verfassungswirk- lichkeit) nur noch teilweise regeln kann. Denn diese Verfassung ist noch stark beeinflusst vom gesetzlichen Regelwerk der Monarchie. Deshalb wird sie in unserem gegenwärtigen Parteien- und Verbändestaat von ande- ren, nicht in der Verfassung verankerten Regeln und Mechanismen ergänzt. In der Realpolitik wird in vielen Fällen der Verfassung nur noch im formalen Ablauf ent- sprochen – wie die folgenden Beispiele zeigen. –– In der Gesetzgebung: Q Art. 41 (1) B-VG Gesetzesvorschläge gelangen an den Nationalrat als Anträge seiner Mitglieder, des Bundesrates oder eines Drittels der Mitglieder des Bundesrates sowie als Vorlagen der Bundesre- gierung. (2) Jeder von 100 000 Stimmberechtigten (…) gestell- te Antrag (Volksbegehren) ist von der Bundeswahlbe- hörde dem Nationalrat zur Behandlung vorzulegen. Die Bundesverfassung sieht für die Gesetzwerdung nur die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem Na- tionalrat, die Initiative einzelner Abgeordneter, Anträge des Bundesrates oder die Initiative durch ein Volksbe- gehren vor. Tatsächlich aber gehen die Gesetzesanträ- ge vor allem von der Regierung aus (ca. 80 Prozent). Außerdem sind die Verbände und politischen Parteien ganz wesentlich an der Gesetzgebung beteiligt. –– Bei der Bestellung der Bundesregierung: Q Art. 70 (1) B-VG Der Bundeskanzler und auf sei- nen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bun- desregierung werden vom Bundespräsidenten er- nannt. Zur Entlassung des Bundeskanzlers oder der gesamten Bundesregierung ist ein Vorschlag nicht erforderlich. Nach diesem Wortlaut kann der Bundespräsident je- derzeit und völlig frei den Bundeskanzler sowie die Bundesregierung ernennen und entlassen. In der politi- schen Wirklichkeit fanden in der Zweiten Republik Re- gierungsbildungen normalerweise immer im Anschluss an Nationalratswahlen statt (abgesehen vom Wechsel einzelner Minister/innen und Bundeskanzler auch wäh- rend einer Gesetzgebungsperiode, wenn sie aus per- sönlichen oder innerparteilichen Gründen stattfanden). Es hat bis heute kein Bundespräsident eine Regierung von sich aus entlassen. Auch bei der Auswahl des Bundeskanzlers ist der Bundespräsident in der Verfassungswirklichkeit an die Ergebnisse der Nationalratswahlen gebunden: Er- hält eine Partei die absolute Mehrheit, so ist er fak- tisch gezwungen, den Kanzlerkandidaten dieser Par- tei auch zu ernennen. Bis zum Jahr 2000 stellte immer jene Partei den Bundeskanzler, die im Nationalrat die (relative) Mehrheit an Abgeordneten hatte. 2000 wur- de erstmals der Kanzlerkandidat der drittstärksten Partei, Wolfgang Schüssel (ÖVP), zum Bundeskanzler 128 Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

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