Zeitbilder 7/8, Schulbuch

Erst abschließend geschieht die Gesetzgebung im Parla- ment. In Zeiten der Großen Koalition (1947–1966, 1986– 1999, seit 2007) trat das Parlament als Ort politischer Entscheidungen noch mehr in den Hintergrund: Es war oftmals nur noch Vollzugsorgan der beiden großen Parteien, die ihre Entscheidungen längst vorher schon anderswo (z. B. in gemeinsamen Arbeitsausschüssen) getroffen hatten. Seit dem Betritt zur Europäischen Uni- on hat der Nationalrat jedoch einen großen Teil seiner Gesetzgebungskompetenz an die EU-Organe (Rat, Par- lament) abtreten müssen. ... und Kontrolle der Regierung Entsprechend der österreichischen Verfassung gilt zwischen Legislative (= Parlament) und Exekutive (= Regierung) das Prinzip der Gewaltenteilung. Doch in der Verfassungswirklichkeit treten Regierung und die Mehrheit des Parlaments immer als Einheit auf. Daher ist in der politischen Praxis die Kontrolle der Regierung durch das Parlament kaum gegeben. Denn die Regie- rung stützt sich ja – außer bei Minderheitsregierungen – immer auf eine parlamentarische Mehrheit. Daher müssen die Oppositionsparteien die Rolle des „Regie- rungskontrollors“ im Parlament übernehmen. Für diese wichtige Aufgabe bekommen sie neben den gesetzlich garantierten Kontrollrechten auch Unterstützung durch den Rechnungshof, die Volksanwaltschaft (vgl. S. 143) und die Medien (vgl. S. 266 f.). Die Kontrollrechte des Nationalrates gegenüber der Re- gierung sind im Bundes-Verfassungsgesetz festgelegt: Q Artikel 50. (1) Politische Staatsverträge (...) dür- fen nur mit Genehmigung des Nationalrates ab- geschlossen werden. (...) Artikel 51. (1) Dem Nationalrat ist spätestens zehn Wochen vor Ablauf des Finanzjahres von der Bun- desregierung ein Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Bundes für das folgende Finanzjahr vorzulegen. (...) Artikel 52. (1) Der Nationalrat und der Bundesrat sind befugt, die Geschäftsführung der Bundesregie- rung zu überprüfen (...) sowie ihren Wünschen über die Ausübung der Vollziehung in Entschließungen Ausdruck zu geben. (2) Jedes Mitglied des Nationalrates und des Bundes- rates ist befugt, in den Sitzungen des Nationalrates oder des Bundesrates kurze mündliche Anfragen an die Mitglieder der Bundesregierung zu richten. (...) Artikel 53. (1) Der Nationalrat kann durch Beschluss Untersuchungsausschüsse einsetzen. (...) Artikel 74. (1) Versagt der Nationalrat der Bundesre- gierung oder einzelnen ihrer Mitglieder durch aus- drückliche Entschließung das Vertrauen, so ist die Bundesregierung oder der betreffende Bundesminis- ter des Amtes zu entheben. [= Misstrauensvotum] (Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929) Welche Parteien nützen normalerweise die „Fragestunde“ im Parlament? Welche Untersuchungsausschüsse des Na- tionalrates sind euch aktuell oder aus der Vergangenheit bekannt? Warum erhalten die so genannten Misstrauensanträge im Nationalrat praktisch nie eine Mehrheit? Landtage und Landesregierungen Ähnlich wie auf Bundesebene funktioniert das parla- mentarische System auf der Ebene der neun Bundes- länder. Die Gesetzgebungsperiode dauert ebenso fünf Jahre (in Oberösterreich sogar sechs). Auf unterschiedliche Weise erfolgen jedoch die Regie- rungsbildungen in den Bundesländern: In Vorarlberg, Salzburg, Tirol und seit 2012 auch in der Steiermark werden die Landesregierungen, ähnlich wie auf Bun- desebene, nach den Landtagswahlen in freien Koaliti- onsverhandlungen gebildet. In den anderen Bundes- ländern gibt es laut Landesverfassung die Verpflichtung zum „Proporz“: Das bedeutet, dass jede Partei ab einer bestimmten Größe in der Landesregierung vertreten sein muss. Eine Mischform gibt es in Wien: Zwar müs- sen auch hier alle Parteien nach dem Proporzsystem in der Stadtregierung (= Stadtsenat) vertreten sein, doch nicht alle Stadträte haben einen Aufgabenbereich. Die amtsführenden Stadträte können mit einfacher Mehr- heit bestellt werden. Regierungschefin oder Regierungschef ist die Landes- hauptfrau oder der Landeshauptmann, sie oder er wird von den Mitgliedern des Landtages mit einfacher Mehr- heit gewählt. Erörtere die Vor- und Nachteile von frei gewählten Koaliti- ons- bzw. verpflichtenden Proporzregierungen. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Analysiere den so genannten Klubzwang bei Abstimmun- gen: Welche Vor- und Nachteile hat er für die Regierungen bzw. die Parteien? 2. Arbeite mit Hilfe des Schaubildes „Wie ein Gesetz ent- steht“ die wesentlichen Stationen einer „Gesetzwerdung“ heraus. 3. Fasse die verfassungsmäßigen Kontrollrechte des Natio- nalrates zusammen und erstelle eine Rangliste hinsichtlich ihrer Wichtigkeit. 126 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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