Zeitbilder 7/8, Schulbuch

ausgaben. Der Anteil der öffentlichen Ausgaben am BIP hat, ebenso wie in den anderen westlichen Industrielän- dern, seit den 1950er-Jahren stark zugenommen (1960: 36%, 2010: 53% des BIP). Seit den 1960er-Jahren wurden die Ausgaben verstärkt für den Ausbau eines Systems der sozialen Sicherheit verwendet. 70 Prozent der gesamten Staatsausgaben fließen in Sozialleistungen (Familienbeihilfen, Kinder- und Pflegegeld, vor allem Pensionen etc.), Subventio- nen (z. B. an die Landwirtschaft), Wohn- und Pendler- beihilfen und die Zinszahlungen auf die Staatsschulden (ca. 6%). Knapp 30 Prozent des Budgets verschlingt der so genannte Sach- und Personalaufwand des Bundes, der mit den wachsenden Aufgaben im Laufe der Zwei- ten Republik entsprechend angestiegen ist. Dennoch hat der Beschäftigtenstand im öffentlichen Dienst seit der Jahrtausendwende stark abgenommen: 2009 waren Bund, Länder und Gemeinden Arbeitgeber für 350000 Beschäftigte (im Bildungs- und Gesundheitswesen, in der Verwaltung, bei Justiz, Militär und Exekutive etc.) – deutlich unter dem Schnitt der übrigen OECD-Länder. Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2007/08 hat auch Österreich getroffen. Es kam zu so genannten Banken-Rettungspaketen und sogar zu Not- verstaatlichungen von Banken (z. B. die Hypo-Group- Alpe-Adria). Andererseits sollten mit Sparprogrammen im Staatshaushalt (2010) Überschuldungen wie in Grie- chenland oder Portugal verhindert werden. Die internationale Stellung Österreichs Mit dem Erringen des Staatsvertrages und der anschlie­ ßenden Neutralitätserklärung (1955) begann für Öster- reich eine neue Periode der Außenpolitik. Seit dem Bei- tritt zur UNO (noch im selben Jahr) und zum Europarat (1956) betrieb Österreich eine aktive Neutralitätspoli- tik. Es engagierte sich in der Entspannungspolitik, vor allem im Ost-West-Konflikt. So fand in Wien das erste Gipfeltreffen nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen ei- nem amerikanischen Präsidenten (Kennedy) und einem sowjetischen Regierungschef (Chruschtschow) statt (1961). Österreich leistete vorbildliche humanitäre Hilfe im Dienste der UNO und anderer internationaler Organi- sationen. Schon 1956 bekam Österreich internationale Anerkennung als Asylland: Als sowjetische Truppen ei- nen Aufstand in Ungarn niederschlugen, fanden etwa 200000 Flüchtlinge Aufnahme. Zwölf Jahre später, als die Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei einmarschierten, bekamen etwa 100000 Tschechen und Slowaken in Österreich Asyl. Seit den 1960er-Jahren sind bis heute österreichische Soldaten im Dienste der UNO zur Friedenserhaltung in Krisengebieten tätig (z. B. Kongo, Kosovo, Tschad, Golanhöhen). Anerkennung fand diese Politik auch bei der UNO, die neben New York und Genf in Wien ihre dritte Heimat fand (1979). Die Konferenzstadt Wien ist Sitz der Inter- nationalen Atomenergie-Agentur (IAEO) und der Or- ganisation für Industrielle Entwicklung (UNIDO). Von 1971 bis 1981 war der spätere Bundespräsident Kurt Waldheim sogar Generalsekretär der Vereinten Natio- nen, in dessen Sicherheitsrat Österreich in den Jahren 2009/10 Sitz und Stimme hatte. Wien ist seit 1965 auch Sitz der OPEC (= Organisation of the Petroleum Ex- porting Countries). Österreich war als neutraler Staat aktiv am Ausbau ei- ner „Sicherheitsarchitektur“ in Europa nach dem Kal- ten Krieg beteiligt. Es führte 1999/2000 den Vorsitz in der OSZE (= Organisation für Sicherheit und Zusam- menarbeit in Europa; vgl. S. 210 f.), die ihren Sitz eben- falls in Wien hat. Österreich und die EU Mit dem EU-Beitritt bekam Österreich Beobachterstatus im Defensivbündnis „Westeuropäische Union“ (WEU), im selben Jahr trat es auch der „Nato-Partnerschaft für den Frieden“ bei (1995). Erstmals übernahm Österreich im Jahr 1998 die EU-Ratspräsidentschaft, ein zweites Mal dann im Jahr 2006. Dazwischen gab es im Jahr 2000 einige Monate lang eine ernste Verstimmung zwischen Österreich und den 14 EU-Staaten wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ, der rechtsradikales und ausländerfeindliches Ver- halten vorgeworfen wurde. Die EU-Staaten reagierten einheitlich mit „Sanktionen“, die vor allem aus einer Reduzierung der bilateralen (= zwischenstaatlichen) Kontakte zu Österreich bestanden. Die Einstellung der österreichischen Bevölkerung zur EU unterlag Schwankungen: Vor allem die Erweiterun- gen (2004, 2007) bewirkten eine stärkere EU-Skepsis bzw. Ablehnung. 2010 jedoch war die Zustimmung zur Mitgliedschaft höher als vor dem Beitrittsjahr 1995. Vor allem jüngere Menschen und da besonders jene mit Matura oder Hochschulabschluss waren in sehr hohem Maß EU-Befürworter/innen. Ein Grund für die positive Einstellung war auch die Überlegung, dass man sich die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise eher in einem gemeinsamen Europa vorstellen konnte. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Fasse die wichtigsten innenpolitischen Entwicklungen seit dem EU-Beitritt zusammen. 2. Skizziere die internationale Stellung Österreichs seit 1955. 3. Führt in der Klasse eine Umfrage zur EU-Mitgliedschaft durch und listet die Pro- und Contra-Argumente auf. Arbeitslosenrate in % W AMS. Berechnung nach nationaler Methode. In: Österreichs Wirtschaft im Überblick 2011/2012, S. 10. 4,8 5,4 6,6 5,8 7,3 6,9 1985 1990 1995 2000 2005 2010 121 4 Österreich – die Zweite Republik Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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