Zeitbilder 7/8, Schulbuch

2. Russland: Vom Zarismus zur Sowjetunion Das Zarenreich – ein rückständiger Agrarstaat Die Oktoberrevolution von 1917 und die Macht­ ergreifung der Kommunisten in Russland gehören zu den wichtigsten historischen Ereignissen in der Ge- schichte des 20. Jh. Die Ursachen dafür sind die vielen ungelösten Probleme, die das zaristische Russland be- reits Jahrzehnte vor der Revolution prägten. An der Spitze des Staates standen absolutistisch regie- rende Zaren. Ihre autoritäre Herrschaft sicherten sie sich mithilfe eines gut ausgebauten Polizei- und Spitzel- apparates und der orthodoxen Kirche. Obwohl Russland zu den fünf europäischen Großmächten gehörte, blieb es bis ins 20. Jh. sozial und wirtschaftlich rückständig. Zu den großen Problemen gehörten der verbreitete An- alphabetismus und der feudalistische Aufbau der rus- sischen Gesellschaft: Die meisten Bauern besaßen kei- nen eigenen Grundbesitz. Die hohe Steuerbelastung, Zwangsarbeit und die massive Verelendung der Bauern führten immer wieder zu Aufständen. Diese wurden je- doch vom Militär stets mit Gewalt niedergeschlagen. Zwei Drittel des Bodens und damit fast die gesamte wirtschaftliche Macht lag in den Händen einer kleinen Schicht von Großbürgern und privilegierten Adeligen. Die Rückständigkeit Russlands zeigte sich auch in der relativ späten Industrialisierung (ab 1870). Um 1900 machten die Fabriksarbeiter erst ca. 3% der Gesamt- bevölkerung aus. Ihre Lebensumstände waren so mise- rabel, dass ein Proletariat entstand, das der Regierung gefährlich werden konnte. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. entstanden in Russland unterschiedliche politische Gruppen, die alle den Za- rismus bekämpften. Die größte Partei bis 1917 bildeten die Sozialrevolutionäre. Sie waren gemäßigte Sozialis- ten. Im letzten Drittel des 19. Jh. verbreiteten sich auch die Lehren von Marx und Engels in Russland. Zu den marxistischen Aktivisten gehörte der junge Rechtsan- walt Wladimir Iljitsch Uljanow, der den Decknamen Le- nin annahm. Er wurde für seine politischen Aktivitäten nach Sibirien verbannt. Die Vertreter der verschiedenen sozialistischen Gruppierungen gründeten 1898 eine ge- meinsame „Russisch Sozialdemokratische Arbeiterpar- tei“. Die Delegierten wurden gleich im Anschluss daran verhaftet. Daher agierte die Partei von nun an im Un- tergrund und durch die vielen Emigranten im Ausland. Lenins neue revolutionäre Partei Lenin und andere Parteimitglieder arbeiteten und leb- ten seit 1900 außerhalb Russlands, vor allem im Deut- schen Reich und in der Schweiz. Seit dem 2. Partei- kongress der Russischen Sozialdemokraten in London (1903) nannten sie sich Bolschewiki. Die zahlenmäßig weitaus größere Gruppe waren die Menschewiki, die sozialdemokratische Ideen vertraten. Die bolschewisti- sche Partei blieb bis 1914 ziemlich bedeutungslos. Während seiner Jahre im Exil gestaltete Lenin die Lehre von Marx und Engels zum Marxismus-Leninismus um. Eine straff geführte Kaderpartei von Berufsrevolutionä- ren sollte das politische Bewusstsein der Arbeiterschaft wecken und die Revolution in Gang setzen. Revolutionen stürzen den Zaren Im Ersten Weltkrieg schlitterte das schlecht ausgebilde- te russische Heer in eine Niederlage. Es mangelte an Kriegsmaterial, die Bevölkerung in den Städten hun- gerte. Seit 1916 brachen immer häufiger Streiks in den Betrieben aus, in denen vergeblich Frieden, Brot und höhere Löhne gefordert wurden. Am 25. Februar 1917 (nach dem alten Julianischen Ka- lender) gab der Zar den Befehl, auf wehrlose Demons- trantinnen und Demonstranten zu schießen. Doch das Militär weigerte sich und schloss sich dem Volk an. Zwei Tage nach Ausbruch dieser Revolution („Februar- revolution“) übernahm eine aus liberalen Adeligen und Großbürgern gebildete „Provisorische Regierung“ die Staatsgeschäfte. Zar Nikolaus II. musste abdanken. Jetzt tauchten auch die verbotenen Petersburger Arbeiterver- treter, Sowjets (russ. Sowjets = Räte) genannt, aus dem Untergrund auf. Sie setzten sich aus Menschewiki, Bol- schewiki und Sozialrevolutionären zusammen. Sie hat- ten gemeinsam mit den neu gewählten Soldaten- und bald auch Bauernräten die Volksmassen auf ihrer Seite. Lenin wurde imApril 1917 mit etwa 30 Funktionären mit Hilfe der deutschen Heeresleitung aus seinem Exil nach Petersburg gebracht. An die Stelle einer parlamentari- schen Republik sollte eine Republik der Sowjets treten, die Provisorische Regierung nicht unterstützt, der Krieg sofort beendet werden. Weiters forderte er in seinen „Aprilthesen“ die Enteignung und Verstaatlichung von Grundbesitz, die Kontrolle und Verteilung der gesamten Produktion durch die Arbeiterräte und die Abschaffung von Polizei und Armee. Als nächste Aufgabe sollte die „Diktatur des Proletariats“ durchgesetzt werden. Lenin schrieb: Q Der Übergang von der kapitalistischen zur kom- munistischen Gesellschaft ist unmöglich ohne „politische Übergangsperiode“, und der Staat dieser W „Lenin verkündet die Sowjetmacht“, Gemälde von Wladimir Serow, 1947 (Bildausschnitt). Dieses Gemälde diente in erster Linie propagan- distischen Zwecken. Es zeigt Lenin bei einer Rede am II. Allrussischen Sowjetkongress in Petrograd (am 25./26. Oktober 1917 nach dem julia- nischen Kalender), hinter ihm Stalin. Beschreibe die Bildinhalte. Erläutere, welche politische Aussage damit wohl gemacht werden sollte. 12 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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