Zeitbilder 7/8, Schulbuch

8. Vom EU-Beitritt in die Gegenwart Eine klare Bevölkerungsmehrheit will in die EU Österreich konnte aus Neutralitätsgründen nicht der 1957 gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemein- schaft (EWG) beitreten. Die UdSSR, aber auch Frank- reich sahen darin einen im Staatsvertrag von 1955 aus- drücklich verbotenen „Anschluss“ an (die Bundesrepu- blik) Deutschland. Daher schloss sich Österreich 1960 mit anderen Ländern zur Europäischen Freihandelsas- soziation (EFTA) zusammen. Deren Hauptziel war ein Abbau der zwischenstaatlichen Zollschranken. Dagegen verfolgte die aus EWG und EG 1993 weiter entwickelte Europäische Union (EU) einen völligen Zu- sammenschluss ihrer Länder (vgl. S. 152 f.). Dazu gehört nicht nur die 1994 erfolgte Errichtung eines gemein- samen Wirtschaftsraumes (EWR), sondern auch eine umfassende politische Gemeinschaft. Diese erfordert jedoch eine Unterordnung verschiedener nationaler In- teressen. Seit Mitte der 1980er-Jahre suchte die österreichische Außenpolitik aktiv den Anschluss an die EG, denn sie war – insbesondere die Bundesrepublik Deutschland – Österreichs wichtigster Wirtschaftspartner. Da nun auch die Sowjetunion kein Veto mehr einlegte, stellte Öster- reich im Jahr 1989 den Beitrittsantrag. Dieser erfolgte allerdings mit dem von der SPÖ geforderten Vorbehalt, auch als EG-(EU-)Mitglied die Neutralität beibehalten zu können. Nachdem das Europäische Parlament in Straßburg im Mai 1994 der Erweiterung der EU zuge- stimmt hatte, gab es in Österreich am 12. Juni 1994 eine Volksabstimmung über den Beitritt zur Europäischen Union: Nach einem „heißen” Wahlkampf (SPÖ, ÖVP und LIF waren für, FPÖ und Grüne gegen den Beitritt) stimmten schließlich 66,58 Prozent mit Ja. Seit 1. Jänner 1995 ist Österreich daher Mitglied der EU. „Sparpakete“ – Voraussetzung für die Währungsunion Um die Voraussetzungen für die am 1. Jänner 1999 durchgeführte Währungsunion (mit dem gemeinsa- men Euro ab 2002) erfüllen zu können, mussten die letzten Regierungen der Großen Koalition „Sparpake- te“ schnüren. Das österreichische Wirtschaftswachs- tum war nämlich – wie in der gesamten EU und in den OECD-Ländern – im Jahr 1993 dramatisch auf unter Null gesunken. Gleichzeitig stiegen das Budgetdefizit und die Gesamtstaatsschuld stark an. Wegen der Unei- nigkeit über die Art der Einsparungen zerbrach die Ko- alitionsregierung Vranitzky IV schon nach einem Jahr (1995). Nach den Neuwahlen einigten sich die beiden Regierungsparteien schließlich doch auf ein gemein- sames „Sparpaket“ (Regierung Vranitzky V; ab 1997: Bundeskanzler Viktor Klima): Es bestand aus einer Mi- schung aus zusätzlichen Einnahmen (z. B. durch den Wegfall von Steuerbegünstigungen) und Sparen bei den Ausgaben. Dies führte vor allem zu Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben. Dadurch konnten die von der EU geforderten strengen Konvergenzkriterien für die Teilnahme an der Währungsunion (wie auch von den meisten anderen Mitgliedstaaten) erfüllt werden. Die „Großen“ verlieren – der Aufstieg der FPÖ Die Große Koalition wurde also bis 1999 fortgeführt, ob- wohl die beiden Großparteien bei jeder Wahl empfind­ liche Verluste erlitten (s. S. 130 f.). Die ÖVP sank von 41 Prozent (1986) bis zum Jahr 1999 auf einen histori- schen Tiefstand von 27 Prozent ab; die SPÖ von 43 Pro- zent (1986, 1990) auf 33 Prozent (1999) – ebenfalls ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1945. Die FPÖ mit ihrem Obmann Jörg Haider dagegen ge- wann bei jeder Wahl Stimmen und Mandate: Ihr Stim- menanteil wuchs von 5 Prozent (1983) auf 27 Prozent (1999) an. Damit war die FPÖ erstmals zweitstärkste Partei im Nationalrat – sie hatte 416 Wählerstimmen mehr als die ÖVP erhalten. Dieses Ergebnis war umso bemerkenswerter, da sich 1993 der liberale Flügel der FPÖ abgespalten und eine eigene Partei, das Liberale Forum (LIF), gegründet hatte. Erstmalig in Österreich mit einer Frau an der Parteispitze (Heide Schmidt) zog das LIF 1994 mit 6 Prozent der Stimmen ebenfalls in den Nationalrat ein, konnte sich aber nur bis 1999 behaup- ten. Die Grünen dagegen festigten seit 1994 ihre Positi- on als Kleinpartei und übersprangen 2006 erstmals die 10-Prozentmarke. Die ÖVP hatte bei Bundeswahlen nur 1996 ein Erfolgs- erlebnis: Bei der direkten Wahl der Abgeordneten ins Europaparlament erhielt sie, erstmals seit dreißig Jah- ren, mehr Stimmen als die SPÖ. Die FPÖ wurde 1989 erstmals bei Landtagswahlen zur stimmenstärksten Par- tei, Jörg Haider erster freiheitlicher Landeshauptmann der Zweiten Republik (in Kärnten). Die politische Wende: eine ÖVP-FPÖ-Koalition Die Nationalratswahlen von 1999 brachten das Ende von 14 Jahren Großer Koalition. Die Koalitionsverhand- lungen zwischen der geschwächten, aber immer noch mandatsstärksten SPÖ und der von der FPÖ überholten ÖVP waren gescheitert. Dennoch stellte die ÖVP seit dem Jahr 2000 mit Wolfgang Schüssel nach 30 Jahren wieder den Bundeskanzler. Denn sie einigte sich mit der FPÖ, gegen den Widerstand des Bundespräsidenten Klestil, erstmals auf eine gemeinsame Koalitionsregie- rung. Mit Susanne Riess-Passer wurde (erstmals) eine Frau Vizekanzlerin, die wenig später Jörg Haider auch als „Parteiobmann“ der FPÖ ablöste. Die SPÖ musste nach 30 Jahren Abschied von der Regierung nehmen. Viktor Klima trat daraufhin als Parteivorsitzender zu- rück, sein Nachfolger wurde Alfred Gusenbauer. Die FPÖ als Regierungspartei: Absturz und Spaltung Schon im Spätsommer 2002 zerbrach die ÖVP-FPÖ- Koalition nach FPÖ-internen Konflikten. Die vorge- zogenen Neuwahlen brachten der ÖVP unter Kanzler Schüssel einen Riesenerfolg – sie wurde erstmals seit 1966 wieder stärkste Partei im Nationalrat (mit 42 %). Auch SPÖ (37 %) und Grüne (9 %) konnten Stimmen gewinnen, doch das war für eine Rot-Grüne-Koalition zu wenig. Die ÖVP erneuerte ihre Regierungskoalition mit der FPÖ, die jedoch mit einemMinus von 17 Prozent 118 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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