Zeitbilder 7/8, Schulbuch

7. Die Koalitionen der 1980er und 1990er Jahre Erstmals eine Kleine Koalition SPÖ/FPÖ L In den 1980er-Jahren überlagerten sich die Krisen: Krise des Sozialsystems, Krise der Ver- staatlichten Industrie, Krise des politischen Systems (Skandale und Korruption). Der bereits schwer kran- ke Bruno Kreisky versuchte, das Steuer noch einmal herumzureißen. (...) Vergeblich. (Hanisch, Der lange Schatten des Staates, 1994, S. 474) Drei wirtschaftspolitische Themen beherrschten 1983 den Wahlkampf, der zum Ende der „Ära Kreisky“ führ- te: die Arbeitsplatzsicherung, mögliche neue Steuern und die „Verschwendungspolitik“ der Regierung. Eine Analyse der Wählerstimmung ergab: L 1983 liegt die „offizielle“ Arbeitslosigkeit zwei- einhalbmal so hoch [wie 1979]; drei Viertel der Bevölkerung zeigen sich um die Arbeitsplätze ernst- haft besorgt. Kann die SPÖ 1979 ihre Problemlö- sungskompetenz diesbezüglich sogar noch steigern, so erleidet sie 1983 einen deutlichen Vertrauens- schwund. (...) die Volkspartei überholt hingegen die Regierungspartei in den Bereichen „Steuerreform“ und „Entbürokratisierung“ und kann ihren Kom- petenzvorsprung bei der „Verhinderung von Ver- schwendung“ stark ausbauen. (Plasser/Ulram, Wahlkampf und Wählerentscheidung, 1983, S. 278 f.) Kreisky trat nach dem Verlust der absoluten Mehrheit zurück. Das Amt des Regierungschefs übernahm sein bisheriger Vizekanzler Fred Sinowatz. Dieser bildete mit der FPÖ erstmals eine Kleine Koalition. „Grünbewegung“ und Kampf um die Hainburger Au Zu den Nationalratswahlen 1983 trat erstmals die „Grünbewegung“ an, und gleich mit zwei Parteien. Ihre Anhänger/innen kamen aus verschiedenen ideolo- gischen Lagern. Sie waren zum Teil mit der Politik der traditionellen Parteien unzufrieden („Protestwähler/ innen“), zum Teil vertraten sie besonders Natur- und Umweltschutzinteressen oder alternative Werthaltun- gen (vor allem gegen ein uneingeschränktes Wachs- tumsdenken). Doch es gelang den „Grünen“ 1983 noch nicht, in den Nationalrat einzuziehen. Ein „Grünthema“ führte jedoch im Jahr 1984 zu ei- ner schweren Belastungsprobe für die Regierung: Als die staatliche Donaukraftwerks AG in der Hainburger Au mit dem Bau eines neuen Donaukraftwerks begin- nen wollte, besetzten in den Vorweihnachtstagen 1984 großteils jüngere Natur- und Umweltschützer/innen wochenlang die Au. Selbst der massive Einsatz von Polizei und Gendarmerie bewog die Aubesetzer/innen nicht zum Aufgeben. Als die Auseinandersetzungen zu eskalieren drohten, gab die Regierung schließlich nach – in der Au wurde nicht gebaut. Gerhard Heiligenbrun- ner, damals Sprecher des Volksbegehrens zur Erhaltung der Hainburger Au und später Berater im Umweltminis- terium, meinte zu den Vorgängen um Hainburg: L Niemand hat geglaubt, dass es zu einer so gro- ßen Protestbewegung kommen würde. Am Hö- hepunkt der Auseinandersetzungen waren damals Tag und Nacht mehr als 3 000 Leute bei etlichen Mi- nusgraden in der Au. Beeindruckend war die breite Solidarität mit der Bevölkerung. Wir konnten oft die vielen Lebensmittelspenden gar nicht anbringen. (...) Diese Auseinandersetzung war in der Zweiten Re- publik einmalig. Es hat sich zum ersten Mal gezeigt, dass aufgrund eines friedlichen und passiven Wider- standes einiges in diesem Land möglich ist und dass der Staat mit dem Bürger nicht machen kann, was er will. (Klement, Zeitstrom einer Epoche, 1989, S. 172f.) Wieder eine Große Koalition (1986–1999) Die Kleine Koalition hielt nur drei Jahre: In der SPÖ wur- de Fred Sinowatz 1986 von Franz Vranitzky abgelöst. In der FPÖ wurde Vizekanzler Norbert Steger von Jörg Hai- der als Parteiobmann gestürzt. Vranitzky nahm dies zum Anlass, aus der Kleinen Koalition auszusteigen. Die SPÖ blieb bei den vorgezogenen Wahlen 1986 zwar stärkste Partei, verlor aber weiter an Stimmen – deut- lich mehr als die ÖVP. Gewinner dieser Wahl waren die „Kleinen“: Die Haider-FPÖ, seit 1986 im politischen Aufwind, konnte ihre Stimmen fast verdoppeln. Die diesmal gemeinsam kandidierende Grün-Alternative- Liste schaffte erstmals den Sprung in den Nationalrat. Nach zwanzigjähriger Pause kam es unter Kanzler Vra- nitzky wieder zu einer Großen Koalition. Denn Vranitz- ky weigerte sich, mit der stärker national ausgerichte- ten Haider-FPÖ eine Koalition einzugehen. Außerdem wollte er eine stabile Regierung zur Lösung der immer größer werdenden wirtschaftlichen Probleme. Tatsächlich gelang bis 1990 die wirtschaftliche Sanie- rung: Es beschleunigte sich das Wirtschaftswachstum deutlich, das Budgetdefizit und die Arbeitslosigkeit wurden geringer. Auch die Verstaatlichte Industrie W Dezember 1984: Polizei umringt die Besetzer/innen der Hainburger Au. 116 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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