Zeitbilder 7/8, Schulbuch

5. Alleinregierungen und die Ära Kreisky Den Anfang macht die ÖVP (1966–1970) Während in einigen westlichen Demokratien diese Form des Regierens lange Tradition hatte, mussten die beiden Großparteien in ihre neuen Rollen erst hineinwachsen. Die Regierung Klaus, der mit Grete Rehor erstmals eine Frau als Ministerin (für Soziale Verwaltung) angehörte, wollte beweisen, dass sie ohne Koalitionspartner we- sentlich wirksamer arbeiten konnte. Ihre wichtigsten Reformen waren: –– die Herabsetzung des aktiven Wahlalters von 21 auf 19 Jahre, –– ein neues Rundfunkgesetz, das den Einfluss der bei- den (Groß-)Parteien auf den ORF verringern sollte, –– die stufenweise Einführung der 40-Stunden-Woche. Ein außenpolitischer Erfolg war die mit Italien erziel- te Einigung in der Frage der Südtiroler Autonomie (1969). Die gemeinsame Verurteilung des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR (im August 1968; vgl. S. 173) bewies, dass Regierung und Opposi- tion in staatspolitisch wichtigen Fragen durchaus eine gemeinsame Haltung einnehmen konnten. Dieses Ereignis schwächte die moskautreue KPÖ wei- ter, die seit 1959 ohnedies nicht mehr im Nationalrat vertreten war: Viele Mitglieder verließen die Partei; Funktionäre, welche die Invasion verurteilten, wurden aus der Partei ausgeschlossen. SPÖ – von der Klassenpartei zur „linken Volkspartei“ Die SPÖ zog aus der Wahlschlappe von 1966 auch per- sonelle Konsequenzen: Bruno Kreisky wurde 1967 neu- er Parteiobmann. Er wollte die SPÖ moderner und offe- ner ausrichten: Q So vertrat ich etwa die Auffassung, dass der Ge- brauch des Wortes „Arbeiterklasse“ nicht mehr zeitgemäß sei. (...) Betrug der Anteil der Arbeiter unter den Lohnabhängigen zunächst weit mehr als die Hälfte, so hat sich dieses Verhältnis umgekehrt. (...) Wollte die sozialistische Partei in Österreich neue Wählerschichten erschließen, musste dieser Entwick- lung Rechnung getragen werden. (...) Die Partei musste sich öffnen, freilich nicht nur in Richtung auf die Angestellten. Es galt, auch anderen gesellschaft- lichen Gruppen verstärkte Aufmerksamkeit zuzu- wenden, vor allem den Bauern. (Kreisky, Im Strom der Politik, 1988, S. 400 f. u. 405 f.) Auch die Gegnerschaft Kirche und SPÖ war längst be- graben: Schon 1945 hatte die Bischofskonferenz erklärt, sich nicht mehr – wie in der Ersten Republik – an eine politische Partei zu binden. Im Sozialhirtenbrief des Jah- res 1956 wurden sogar die Leistungen der gemäßigten Sozialisten für eine gerechtere Gesellschaftsordnung gewürdigt. Umgekehrt las man im SPÖ-Programm von 1958: „Jeder religiöse Mensch kann gleichzeitig auch Sozialist sein.“ Diese breite Öffnung der Partei sollte der SPÖ bei den Wahlen 1970 ebenso zugute kommen wie ein „Wahlzuckerl“ für alle männlichen Jungwähler: Die Verkürzung der Wehrdienstzeit von neun auf sechs Monate plus 60 Tage Waffenübungen. Die Minderheitsregierung Kreisky – ein Einzelfall (1970/71) Die Wahlen von 1970 bedeuteten für die ÖVP nach 25 Jahren Kanzlerschaft Abschied nehmen vom Regieren. Nur mit einer relativen Mehrheit ausgestattet bildete Bruno Kreisky mit Duldung der FPÖ die erste und bis- her einzige Minderheitsregierung seit Bestehen der Re- publik Österreich. Für diese Unterstützung bekam die kleine Oppositionspartei FPÖ eine Wahlrechtsreform: Die Anzahl der Abgeordnetenzahl wurde von 165 auf 183 erhöht, wodurch auch kleinere Parteien leichter in den Nationalrat einziehen bzw. mehr Mandate er- reichen konnten. Da aber ein Minderheitskabinett nur beschränkt handlungsfähig ist, drängte der Kanzler auf „klare Verhältnisse“ durch Neuwahlen im Jahre 1971. „Lasst Kreisky und sein Team arbeiten“ – 12 Jahre sozialistische Alleinregierung Die SPÖ feierte bei den Neuwahlen einen bis dahin nie erreichten Erfolg – die absolute Mandatsmehrheit im Nationalrat. Es gelang Kreisky, diesen Erfolg noch zweimal zu wiederholen (1975, 1979). Nun konnte er das groß angekündigte Programm der Neugestaltung Österreichs und den Aufbruch zur „Europareife“ in An- griff nehmen. Als wichtigste Reformen der siebziger Jahre gelten: W Pressekonferenz anlässlich der Wiener Gespräche zwischen Bruno Kreisky (2.v.r.), Anwar al Sadat (2.v.l.), Shimon Peres (r.) und dem Prä- sidenten der Sozialistischen Internationale Willy Brandt (l.) am 9. Juli 1978 (Fotograf: Rudolf Semotan). 112 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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