Zeitbilder 7/8, Schulbuch

zusammengebrochen, denn auch die sowjetische Besat- zungsmacht unterstützte die kommunistische Streikbe- wegung nur teilweise. Es wurden ja die sowjetisch ver- walteten USIA-Betriebe durch den Streik wirtschaftlich am meisten geschädigt. Während Olah noch im Jahr 2005 von einem „kommu- nistischen Putschversuch“ überzeugt war, beurteilte der Historiker Ernst Hanisch schon 1994 dieses Ereignis po- litisch so: L Sie [die KPÖ] sah die Chance, über Massenunru- hen wieder ins politische Spiel zu kommen, ver- lorene Positionen in der Gewerkschaft und in der Re- gierung zurückzuerobern. Genau das aber war auch die Chance von Regierung und Gewerkschaft. Sie antworteten auf die KPÖ-Agitation mit der Parole: Die Kommunisten planen einen Putsch; sie wollen in Österreich eine Volksdemokratie einführen. (...) Der Putschvorwurf war nicht nur eine geschickte Gegen- propaganda; die dahinter stehenden Ängste waren sehr real – lag doch der kommunistische Putsch in Prag erst zwei Jahre zurück. (Hanisch, Der lange Schatten des Staates, 1994, S. 445) Und Oliver Rathkolb stellte dazu im Jahr 2011 fest: L Alle vorhandenen Quellen und die beinahe ein- heitliche Meinung der entsprechenden wissen- schaftlichen Analysen schließen eine derartige Plan- richtung [= einen Putschversuch] als unrealistisch aus, doch der „Putschversuch“ von 1950 bleibt ein Mythos, der aus (…) der Nachkriegsgeneration nicht wegzudenken ist. (Rathkolb, Die paradoxe Republik, 2011, S. 26) Charakterisiere, welche Bedingungen und welche Merk- male einen Putsch kennzeichnen. Welche Putschversuche sind dir aus der jüngeren Gegenwart bekannt? Erkundige dich über die Ereignisse in Prag im Jahr 1948. Das kleine österreichische „Wirtschaftswunder“ Zu Beginn der fünfziger Jahre war es um Österreichs Wirtschaft noch schlecht bestellt: Die Marshallplanhilfe lief aus, die Währung musste stabilisiert und die nega- tive Handelsbilanz ausgeglichen werden. Während die SPÖ durch große öffentliche Investitionen eine Voll- beschäftigungspolitik anstrebte, verfolgte der ÖVP-Fi- nanzminister Reinhard Kamitz (ähnlich wie in der Ers- ten Republik) eine strenge staatliche Sparpolitik. Die Folge waren geringe Produktionsziffern und ein Heer von Arbeitslosen, das im Februar 1954 auf einen bis zum Jahr 2004 unerreichten Rekordstand von 308 000 Menschen anwuchs. Doch ab 1953 begann der Wirtschaftsaufschwung, be- einflusst auch von einer weltweiten Konjunkturbele- bung. Jetzt konnte auch die Lebensmittelrationierung endgültig aufgehoben werden. Es folgte ein riesiges In- vestitionsprogramm: Die Wasserkraft wurde ausgebaut (z. B. das Speicherkraftwerk Kaprun), die Eisenbahn auf den wichtigsten Strecken elektrifiziert, der Autobahn- bau (Salzburg–Wien) vorangetrieben. Davon profitierte auch die Verstaatlichte Industrie, die in der Stahlpro- duktion das neue LD-Verfahren (LD = Linz-Donawitz) entwickelte und weltweit die Lizenzen dafür verkaufen konnte. Zehn Jahre nach Kriegsende konnte die Regie- rungskoalition eine stolze Bilanz vorweisen: Die Wirt- schaft hatte sich erholt, innenpolitisch herrschte Friede, hinzu kam noch der lang ersehnte Staatsvertrag. Krise und Ende der Großen Koalition Am Beginn der 1960er-Jahre leistete die Große Koaliti- on noch gute Arbeit. Die Arbeitslosigkeit sank erstmals unter 100 000; mit dem Schulgesetz 1962 wurde eine einheitliche Schulorganisation geschaffen und in jedem österreichischen Bezirk eine höhere Schule errichtet. Die Koalitionsregierung konnte mit ihrer breiten par- lamentarischen Mehrheit auch große staats- und wirt- schaftspolitische Aufgaben lösen. Dennoch zeichnete sich ihr Ende immer deutlicher ab. Mitte der 1960er-Jahre waren die Nachkriegspolitiker der ersten Stunde gestorben (Raab, Figl, Schärf). Die nächste Politikergeneration war in ihrer Haltung zur Koalition schon sehr gespalten. Die Wahlen im Jahr 1966 brachten der ÖVP die absolute Mehrheit. Sie stell- te nun die erste Alleinregierung der Zweiten Republik. Die SPÖ ging in die Opposition. Bruno Kreisky, Außenminister der letzten Koalitionsjah- re, beschrieb später den Niedergang der Koalition so: Q Die Große Koalition, die nach der Auffassung vieler ihre Funktion mit dem Staatsvertrag er- füllt hatte, war schon Anfang der sechziger Jahre ins Wanken geraten. Die eine Regierungspartei trat als Opposition der anderen auf; dies wirkte auf die Menschen unaufrichtig und raubte dem Parlamenta- rismus seine Glaubwürdigkeit. (Kreisky, Im Strom der Politik, 1988, S. 382) Hermann Withalm, langjähriger Generalsekretär der ÖVP, meinte rückblickend: Q Wenn letzten Endes das Ziel (...) nicht erreicht werden konnte, dann lag das nicht an dem man- gelnden guten Willen einzelner Akteure, sondern an dem Umstand, dass die Koalition der Jahre 1963/64 nur mehr ein Schatten dessen war, was man vor dem Abschluss des Staatsvertrages unter Zusammenar- beit verstanden hatte. (Withalm, Aufzeichnungen, 1974, S. 118) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Fasse die Leistungen der Großen Koalition bis 1966 zusammen. 2. Vergleiche und bewerte die Aussagen der beiden Politi- ker Kreisky und Withalm bezüglich des Scheiterns der Gro- ßen Koalition. 111 4 Österreich – die Zweite Republik Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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