Zeitbilder 7/8, Schulbuch

Die Neutralität Österreichs ist also nicht, wie viele mei- nen, im Staatsvertrag festgeschrieben. Die Neutralitäts- erklärung, obwohl Vorbedingung der Sowjetunion für den Staatsvertrag, sollte von Österreich freiwillig erfol- gen, d. h. erst nach Abzug der Besatzungsmächte. Am 26. Oktober 1955 beschloss daher der Nationalrat ein- stimmig das Bundesverfassungsgesetz über die Neutra- lität der Republik Österreich: Q (1) Zum Zwecke der dauernden Behauptung sei- ner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwe- cke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Ös- terreich aus freien Stücken seine immer währende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und ver- teidigen. (2) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen bei- treten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen. (Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 1955, 57. Stück, 211) Das Völkerrecht unterscheidet zwischen einer „tem- porären“, also zeitlich begrenzten Neutralität in einer bestimmten Konfliktsituation, und einer „dauernden“ Neutralität, welche besondere Verpflichtungen bein- haltet: –– Das Verbot, einen Krieg zu beginnen und dadurch seine Neutralität von sich aus zu beenden. –– Das Verbot der Teilnahme an Kriegen zwischen drit- ten Staaten. –– Die Pflicht zur Erhaltung und Verteidigung der Unab- hängigkeit, territorialen Integrität und der Neutralität sowie zur Anschaffung der dazu notwendigen Mittel. –– Die Pflicht, jedes Verhalten zu vermeiden, das ihn in der Zukunft vielleicht in Konflikt mit seinen Neutrali- tätspflichten bringen könnte. „Westintegration“ trotz Neutralität Die wirtschaftliche und politische Anbindung Öster- reichs an die westlichen Alliierten war schon mit Beginn des Kalten Krieges deutlich: Wirtschaftlich besonders bedeutend war dabei die Einbeziehung Österreichs in den Marshallplan und die Ausrichtung des Außenhan- dels nach „Westen“. Politisch bedeutend war sowohl die antikommunistische Haltung der beiden Großpar- teien als auch die einer großen Bevölkerungsmehrheit. In diesem Sinn kommentierte wohl auch Bundeskanz- ler Raab am 26. Oktober 1955 das gerade beschlosse- ne Neutralitätsgesetz im Nationalrat: Die Neutralität sei militärisch und nicht ideologisch zu verstehen, sie verpflichte den Staat, aber nicht die Staatsbürgerin oder den Staatsbürger. Dennoch blieben auch nach 1955 geheime Waffenlager des US-Geheimdienstes CIA und des britischen Ge- heimdienstes MI6 in ihren früheren Besatzungszonen bestehen. Außerdem gab es von österreichischer Seite immer wieder Kontakte zur NATO. Im Ernstfall erhoffte man sich vom österreichischen Bundesheer, die Nord- Süd-Verbindung zwischen den NATO-Staaten Italien und Deutschland gegen einen Vorstoß der kommunisti- schen Warschauer Pakt-Truppen zu verteidigen. W Die UNO-City, seit 1979 Amtssitz der Vereinten Nationen, genießt exterritorialen Status (Fotografie, Mai 2007). 108 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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