Zeitbilder 7/8, Schulbuch

3. Der Weg zur Souveränität Die Außenpolitik eines besetzten Kleinstaates In der „Moskauer Deklaration“ des Jahres 1943 legten die Alliierten die Wiederherstellung Österreichs als ei- nes ihrer Kriegsziele fest (vgl. S. 100). Zu diesem Zeit- punkt einigte sie noch die gewaltige Kriegsanstrengung gegen Hitler-Deutschland. Je näher der Sieg über den Nationalsozialismus rückte, desto größer wurde das Misstrauen gegeneinander, das schließlich im „Kalten Krieg“ mündete. In diesem Interessengegensatz zwi- schen Ost und West wurde Österreich schließlich zu einem Spielball und Faustpfand der Politik der Groß- mächte. Obwohl es als befreites Land bezeichnet wur- de, dauerte es zehn Jahre, bis die Besatzungsmächte bereit waren, Österreich die volle Souveränität zuzuge- stehen. Trotz der Beschränkungen durch die Besatzungsmächte bemühte sich schon die erste österreichische Regierung um eine eigenständige Außenpolitik. Als ein Erfolg dabei kann die mit westlicher Hilfe gelungene Abwei- sung jugoslawischer Gebietsansprüche in Kärnten (ein- schließlich Klagenfurt und das südliche Villach) und in der Steiermark gewertet werden. Nach dem Bruch Titos mit Moskau im Jahre 1948 verlor Jugoslawien auch die Unterstützung der UdSSR in dieser Frage. Die „Südtirolfrage“ Österreichs Ansprüche an Italien – die Rückgabe des deutschsprachigen Südtirol – wurden jedoch von den Siegermächten abgelehnt. Allerdings erreichte Öster- reich ein Abkommen mit Italien über den Schutz der Deutsch sprechenden Bevölkerung. Dieses 1946 in Pa- ris unterzeichnete „Gruber-de-Gasperi-Abkommen“ bestimmte u.a.: Q 1. Den deutschsprachigen Einwohnern der Pro- vinz Bozen und der benachbarten zweisprachi- gen Ortschaften der Provinz Trient wird volle Gleich- berechtigung mit den italienischsprachigen Einwoh- nern (…) zum Schutz des Volkscharakters und der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung des deutschsprachigen Bevölkerungsteiles zugesichert werden. (…) den Staatsbürgern deutscher Sprache [wird] ins- besondere folgendes gewährt werden: a) Volks- und Mittelschulunterricht in der Mutter- sprache; b) Gleichstellung der deutschen und italienischen Sprache in den öffentlichen Ämtern und amtlichen Urkunden sowie bei den zweisprachigen Ortsbe- zeichnungen; c) das Recht, die in den letzten Jahren italienisierten Familiennamen wiederherzustellen; d) Gleichberechtigung hinsichtlich der Einstellung in öffentliche Ämter (…) 2. Der Bevölkerung der oben erwähnten Gebiete wird die Ausübung einer autonomen regionalen Gesetz- gebungs- und Vollzugsgewalt gewährt werden (…). (Steininger, Die Südtirolfrage, Dokument 1, 1997, S. 497) Analysiere, welche Bedeutung solche Rechte für eine Min- derheit in einem Staat haben. Recherchiere, in welchen Staaten der Erde gegenwärtig um solche Regelungen gerungen wird. Das Pariser Abkommen wurde von Italien aber nur schleppend und unzureichend erfüllt. In den 1960er- Jahren eskalierte deshalb der Konflikt, es erfolgten terroristische Anschläge auf italienische Einrichtungen (u.a. wurden Leitungsmasten gesprengt). Erst 1969 ge- lang es schließlich, das „Südtirolpaket“, das die Auto- nomie genau umschrieb, auszuhandeln. Die Verhand- lungen um seine Erfüllung durch Italien wurden An- fang 1992 abgeschlossen. Das Ringen um den Staatsvertrag Das für die österreichische Außenpolitik wichtigste Pro- blem blieb allerdings der Abzug der Besatzungsmäch- te und die Erlangung der vollen Souveränität. Obwohl sich österreichische Politiker schon ab 1946 darum be- mühten, „froren“ im Zuge des Kalten Krieges auch die- se Verhandlungen ein. Erst der Tod Stalins (1953) schien die starren Fronten aufzuweichen und leitete eine „Tau- wetterperiode“ ein. Auf der Berliner Außenministerkonferenz im Jahr 1954 versuchte die österreichische Regierung die neue Situ- ation zu nützen. Außenminister Figl bot als Gegenleis­ tung für die Wiedererlangung der Souveränität Folgen- des an: den Verzicht auf die Gewährung ausländischer militärischer Stützpunkte auf österreichischem Gebiet sowie den Verzicht auf jegliche Militärbündnisse. Der W Besatzungsalltag1946:„Vier imJeep“, internationalePatrouille inWien, aufgenommen am 25. 9. 1945 (Österreichische Nationalbibliothek). 106 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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