Zeitbilder 7/8, Schulbuch

2. Der wirtschaftliche Wiederaufbau Der Kampf gegen den Hunger Aus der dem damaligen Bundeskanzler Leopold Figl zugeschriebenen Weihnachtsansprache 1945: Q Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr über- haupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Ein- schneiden. Wir haben nichts. Ich kann euch nur bit- ten, glaubt an dieses Österreich. (http://www.austria-lexikon.at/af/Wissenssammlungen/Zitate/Figl; 11.8.2011) So rasch der politische Neuanfang erste Erfolge zeigte, so trist war die wirtschaftliche Situation zu Kriegsende und in den ersten Jahren danach. Besonders der Osten Österreichs war von den direkten Kriegseinwirkungen gezeichnet. Hier betrug der tägliche Kaloriensatz der streng rationierten Lebensmittel im Extremfall (Mai 1945) nur 350 Kalorien (das entspricht etwa dem Nähr- wert einer Semmel mit 7 dag Extrawurst). Todesfälle in- folge Hungers häuften sich, besonders in Wien und den niederösterreichischen Industriebezirken. Obwohl in den westlichen Bundesländern die Ernährungssituation besser war, wurde auch hier die Lage durch hunderttau- sende Flüchtlinge (DP = Displaced Persons) verschärft. Hilfsprogramme der Besatzungsmächte (sowjetische Nahrungsmittelspende zum 1. Mai 1945, CARE-Pa- kete aus den USA) und europäischer Staaten, wie der Schweiz, Schwedens, der Niederlande und Dänemarks, sowie Sachlieferungen der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) linderten die ärgste Not. Dies bewahrte in der ersten Zeit nach dem Krieg tausende Österreicherinnen und Österreicher vor dem Hungertod. Nach und nach konnte der Kalorien- satz erhöht werden, ab November 1947 betrug er 1 700 Kalorien. Schwarzmarkt und Währungsreform Der allgemeine Versorgungsmangel führte zur Entste- hung eines Schwarzmarkts: Im Schleichhandel konnte man praktisch alles, jedoch zu gigantischen Preisen, erhalten. Lieferanten für diesen Markt waren häufig al- liierte Soldaten, die Lebensmittel, Nylonstrümpfe oder Zigaretten für viel Geld verkauften, aber auch gegen Wertgegenstände (Uhren, Fotoapparate usw.) ein- tauschten. Die Regierung reagierte auf den Schwarzmarkt und die sich immer schneller drehende Lohn-Preis-Spirale mit der Währungsreform des Jahres 1947: Pro Kopf der Be- völkerung wurden 150 Schilling im Verhältnis 1:1 um- getauscht, der Rest des Barvermögens wurde um zwei Drittel entwertet, d. h. für drei alte Schillinge bekam man einen neuen. Dies bewirkte eine Verringerung des Geldumlaufs um rund 60 Prozent. Dadurch wurde die Nachkriegsinflation beendet. Gegen dieses Gesetz, das vor allem für die Arbeitneh- mer/innen bzw. Kleinverdiener/innen eine große Härte darstellte, wandte sich die KPÖ mit dem Rücktritt ihres einzigen Ministers. Sie bildete nun bis zum Einzug des Verbandes der Unabhängigen (VdU) in den Nationalrat (1949) die einzige Opposition. Das bedeutete aber auch das Ende der Konzentrationsregierung und die Grün- dung der Großen Koalition zwischen ÖVP und SPÖ, welche bis 1966 regierte. Wirtschaftlicher Neuanfang Nicht nur die Landwirtschaft, auch die Industrie befand sich in der ersten Nachkriegszeit in einer fast aussichts- losen Situation. Viele Betriebe wiesen schwere Kriegs- schäden auf. Am härtesten trafen sie jedoch die um- fangreichen Demontagen von Produktionseinrichtun- gen (vor allem durch die sowjetische Besatzungsmacht). Bestand an Werkzeugmaschinen (in Stück) Dezember 1937 April 1945 Jänner 1946 Elektroindustrie 12 038 19 327 7 896 Fahrzeugindustrie 13 508 21 043 8 777 Maschinenindustrie  8 868 18 096 7 276 Eisen- und Metall- Warenindustrie 23 693 29 471 23 681 Eisen- und Stahlbau  2 624 4 296 W Schausberger, Österreich, 1980, S. 73. Dazu kam der (Reparations-)Anspruch der Sowjets auf jene Betriebe in ihrer Zone, die ehemals deutsches Ei- gentum gewesen waren. Sie wurden beschlagnahmt und der USIA (Uprawlenije Sowjetskowo Imuscht- schestwa Awstrii = Verwaltung sowjetischer Güter in Österreich) als eigenem Wirtschaftskörper unterstellt. W Der amerikanischer Schauspieler Joseph Cotton verteilt Care-Pakete an Kinder (Fotografie, Albert Hilscher, 1950). 104 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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