Zeitbilder 7/8, Schulbuch

macht und verweigerten ihr zunächst die Anerkennung. Anfang Juli 1945 wurde durch das Erste Kontrollab- kommen eine „Alliierte Kommission für Österreich“ eingesetzt. Sie setzte sich aus den vier militärischen Be- fehlshabern der Besatzungsmächte zusammen und war die „oberste Gewalt“ in Österreich. Zu dieser Beschrän- kung der österreichischen Regierung kamen noch die Erschwernisse durch die Aufteilung des Landes in die vier Besatzungszonen. Der Güter- und Personenverkehr zwischen den westlichen Zonen war bald unbehindert. Die sowjetische Zonengrenze dagegen konnte erst spä- ter und nur mit einem streng kontrollierten viersprachi- gen „Identitätsausweis“ überschritten werden. Der Ei- serne Vorhang schien das Land zu zerschneiden – eine Teilung Österreichs drohte. Auf Initiative Karl Renners kamen im Herbst 1945 meh- rere Länderkonferenzen zustande. Dort legten Politiker aller drei Parteien aus allen Bundesländern ein eindeuti- ges Bekenntnis zum Gesamtstaat ab. Nun anerkannten auch die Westmächte die Wiener Zentralregierung. Da- mit war die Gefahr einer Teilung Österreichs gebannt. Nicht nur Opfer – auch Täter/innen Sofort nach der militärischen Befreiung Österreichs be- gannen die Alliierten mit der „Entnazifizierung“. Schon am 8. Mai, dem Tag der Kapitulation, wurden mit einem Verfassungsgesetz die NSDAP, alle ihre Wehrverbände (wie z. B. SA, SS) und anderen Organisationen verboten (= Verbotsgesetz). Wenig später folgte auch ein „Kriegs- verbrechergesetz“. Dazu mussten sich alle ehemaligen Nationalsozialisten (Parteimitglieder und Angehörige der Wehrverbände) registrieren lassen. Je nach ihrer Einstufung als Kriegsverbrecherinnen und Kriegsver- brecher oder gerichtlich zu verfolgende Personen, als belastete und minderbelastete Nationalsozialisten hat- ten sie mit „Sühnefolgen“ zu rechnen: mit Sühneabga- ben, Beförderungshemmung, zeitweiligem Berufsver- bot oder fristloser Entlassung vom Arbeitsplatz (davon waren besonders viele im Beamtendienst betroffen); in ca. 26000 Fällen auch mit Verhaftung oder Internierung in einem Anhaltelager. Auch die Minderbelasteten wur- den bis 1949 vom Wahlrecht ausgeschlossen. Ab Februar 1946 wurde die Entnazifizierung nur noch von der österreichischen Regierung durchgeführt. So genannte Volksgerichte sprachen bis zum Jahr 1955 13 600 Verurteilungen (darunter 43 Todesurteile und 34 lebenslängliche Haftstrafen) aus. Doch geriet die Ent- nazifizierung bald zu einer bürokratischen Formalität und endete im Jahr 1948 mit einer umfassenden Am- nestie für alle Minderbelasteten : L Ab 1947/48 verstärkte sich der Trend, einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, merklich. Selbst (…) bei den Volksgerichten stieg 1948 die Zahl der Freisprüche auf 52 Prozent (…). Gleichzeitig diskutierten die beiden großen politi- schen Parteien ÖVP und SPÖ offen ein wahlstrate- gisches Problem (…). Das bedeutete, daß nach der Amnestie für Minderbelastete 1948 fast 500 000 neue Wähler die politische Landschaft doch sehr deutlich verändern konnten (…). Die beiden großen politi- schen Kräfte versuchten (…) die Stimmern der „Ehe- maligen“ zu gewinnen, auch um den Preis des Ver- zichts der Entnazifizierung. (Rathkolb, Die paradoxe Republik, 2011, S.307) Es gab aber auch andere Gründe, warum im Bewusst- sein vieler Menschen keine „Entnazifizierung“ statt- fand: L Es unterblieb die notwendige tiefere Auseinan- dersetzung mit den gesellschaftlichen und poli- tischen Ursachen des NS-Problems. Konzentriert auf die strafrechtliche Verfolgung wurde die Aufarbei- tung der weiterwirkenden Reste der NS-Ideologie vernachlässigt und ihr Weiterleben in Kauf genom- men. Dazu kam, dass die „Kleinen“ oft stärker be- straft wurden als die „großen“ Täter, die es verstan- den haben, sich der Verantwortung zu entziehen, und sehr bald wieder ihre früheren Positionen in Wirtschaft, Industrie und teilweise auch im Staats- dienst einnehmen konnten. Das Ergebnis war bei jenen, die sich nur als unbeteiligte „Mitläufer“ be- trachteten, ein tiefes Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. (...) An die Stelle von Einsicht und Umdenken traten Trotz und Verharren im Unrecht, und viele ehemalige Anhänger des Nationalsozialis- mus verweigerten eine offene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. (Malina/Spann, 1938–1988, 1988, S. 30) W In Nürnberg und anderswo: „Er hat mir’s doch befohlen!“ Karikatur, Neues Österreich, 20. Juli 1946. Beschreibe den Inhalt dieser Karikatur. Interpretie- re sie im Zusammenhang mit der Durchführung der Entnazifizierung. 102 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum de Verlags öbv

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