Zeitbilder 7, Schulbuch

95 3 Nationalsozialismus und 2. Weltkrieg dieser Krieg, der von vorne herein nicht zu gewinnen war, musste beendet werden. Im September 1943 sah ich meinen Vater, General Fritz Lindemann, das erste Mal wieder seit ich Soldat war (...) Ich hatte mir vorgenommen, ihm meine Auf- fassung offen darzulegen. Wir hatten ein sehr aus- führliches Gespräch über die gesamte militärische Lage. Meiner Schlussfolgerung, dass der Krieg ver- loren sei, stimmte er zu. Er sprach aber auch von an- deren Dingen, die mir bis dahin verborgen geblieben waren – von den Verbrechen gegen die Menschen in den besetzten Ostgebieten durch SS-Sondereinhei- ten in einem für mich unvorstellbarem Ausmaß (…) Warum ließ man Hitler an der Macht nach all den Erfahrungen der vergangenen 10 Jahre? (...) Gegen Ende dieser Eröffnung sagte ich meinem Vater, dass (…) man auch den Mut haben müsse, Hitler und sei- ne Genossen zu beseitigen, und zu versuchen, den Frieden auch unter größten Opfern zu gewinnen (...) Mein Vater antwortete mir erst nach großem Zögern, dass es eine Gruppe von Offizieren und anderen Männern in Deutschland gäbe, die an einem Um- sturz arbeiteten. Es komme ihnen darauf an Hitler, Göring und Himmler zu beseitigen, die Macht zu übernehmen, und den Einfluss der SS, Gestapo und der Partei zu eliminieren und zu versuchen mit den Gegnern zu einem einigermaßen tragbaren Überein- kommen zu gelangen. Er nannte keine Namen. Ich habe ihn auch nicht danach gefragt (…) Nach einer Auseinandersetzung mit der norwegischen Bevöl- kerung beschäftigte mich die hypothetische Frage, was mit uns Soldaten geschehen würde, wenn Hitler diesen Krieg gewinnen sollte. Ich sah uns ein Leben lang als Besatzer – ungeliebt – und nach nationalso- zialistischer Vorstellung als das „germanische Her- renvolk“ – gehasst von der Bevölkerung – überall in Europa und Afrika (…) Das war nicht das Leben, wes- halb ich Soldat geworden war. Mir wurde klar, wir durften diesen Krieg auf keinen Fall gewinnen, nicht nur unseretwegen, sondern aller anderen Menschen wegen, die unter dem nationalsozialistischen Joch zu leiden haben würden (…) Aufgrund der Beteiligung meines Vaters, General Fritz Lindemann, an dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 verhaftete mich die Gestapo am Morgen des 25. August 1944. Eine Mitbewohnerin, Bomben- flüchtling in der Wohnung meiner Eltern, hatte meine Anwesenheit angezeigt (…) Ende Oktober wurde mir im Gefängnis Tegel der Haftbefehl ausgehändigt (…) Der Kernsatz lautete: „Er wird beschuldigt von dem Vorhaben eines Hochverrates glaubhaft Kenntnis er- halten, es aber unterlassen zu haben, der Behörde (…) hiervon rechtzeitig Anzeige zu machen (...)“ [Der Oberreichsanwalt] gab mir zwar die Verantwor- tung für die Nichtanzeige, schob aber meinen Vater als Hauptverantwortlichen vor und beantragte für mich nur eine Strafe von 3 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Ehrverlust. Die Strafe sei anzutreten nach Kriegsende. Ich erfuhr zu diesem Zeitpunkt aus ei- nem Nebensatz, dass mein Vater nicht mehr am Le- ben sei. Das Gericht (…) war in seinem Richtspruch dem Antrag des Oberreichsanwaltes gefolgt (…) Ich hatte dieses Ergebnis nicht erwartet. Ich war seit der 1. Verhandlung am 8. August 1944 (…) der 5. Verur- teilte, der mit dem Leben davonkam (…) (Lindemann, 2001, in: http://www.dhm.de/lemo/forum/kollektives_ gedaechtnis/211/index.html; 3.10.2012) M5 „Kleine Zeitung“ – Schlagzeilen zu den Kämpfen in Sta- lingrad 1942/43: 9. September: Weitere Erfolge bei Stalingrad 24. September: Stalin wirft alles in die Schlacht Die schwersten Straßenkämpfe der Kriegsgeschichte in Stalingrad 15. November: Der Untergang Stalingrads Es gibt in der ganzen Stadt kein Haus mehr, das ganz geblieben wäre. 6. Dezember: Starke Sowjetangriffe gescheitert 24. Dezember: Die schweren Kämpfe (…) halten an Hohe Verluste der Sowjets (…) in Stalingrad 3. Jänner 1943: Moskaus neue Winteroffensive 15. Jänner: Tapfere Abwehr bei Stalingrad Die sowjetischen Angriffe (…) gescheitert 16. Jänner: Erbitterte Verteidigung bei Stalingrad 19. Jänner: Zähe Abwehr der Stalingradkämpfer Schwerste Verluste der Bolschewisten (…) 23. Jänner: Schlacht im Osten weiter sehr schwer Heldenmütige Abwehr der Stalingradkämpfer 26. Jänner: Panzerwalzen umkreisen Stalingrad Die VI. Armee heftet im Heldenkampf gegen erdrü- ckende Übermacht unsterbliche Ehre an ihre Fahnen 3. Februar: Kampf gegen zehnfache Übermacht 4. Februar: Stalingrad überstrahlt Jahrtausende Das größte Heldenopfer der Menschheitsgeschichte Der Kampf in Stalingrad zu Ende Die 6. Armee getreu ihrem Fahneneid bis zum letz- ten Atemzuge der Übermacht des Feindes und der Ungunst der Verhältnisse erlegen. 5. Februar: Das Heldenopfer von Stalingrad ist nicht vergeblich gewesen Kämpfer für ihr Volk und für Europa Ungebrochen sind Kampfwille und Siegeszuversicht Deutschlands und seiner Verbündeten. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Beschreibe und interpretiere das Plakat (M2). Analysiere dazu die Aussagen des Historikers (M1) zur Wirkung der HJ-Erziehung. Vergleiche sie dann mit den persönlichen Eindrücken damaliger Jugendlicher (vgl. S. 77). 2. Analysiere die „10 Gebote zur Gattenwahl“ (M3) einzeln im Zusammenhang mit der NS-Weltanschauung: In wel- chen Formulierungen kommt sie zum Ausdruck? Versu- che, „10 Gebote“ für die Wahl eines (Ehe-)Partners / einer (Ehe-) Partnerin aus deiner persönlichen Sicht heute zu formulieren. 3. Beschreibe die Entwicklung des Jugendlichen Linde- mann vom freiwilligen Wehrmachtssoldaten bis zum Geg- ner des Regimes (M4). Erläutere seine politische Haltung und bewerte sie aus historischer und heutiger Sicht. 4. Analysiere die Schlagzeilen (M5) in ihrer zeitlichen Ent- wicklung und erörtere ihre mögliche Wirkung. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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