Zeitbilder 7, Schulbuch

51 2 Von der Gründung der Republik bis zur Radikalisierung der Innenpolitik Schlägerei, bei der nicht geschossen und auch niemand verletzt wurde (…) Um etwa 1/25 Uhr nachmittags, als die Versammlung zu Ende ging, sahen die Versammel- ten durch das Fenster die bereits vom Bahnhof einrü- ckenden Schutzbundabteilungen. Plötzlich hörte man Schüsse fallen (…) plötzlich stürzte ein Schutzbündler (…) durch einen Kopfschuss von rückwärts erschossen, blutüberströmt zusammen (…) Kriegsinvalide Csma- rits (…) im selben Augenblick brachen ein achtjähri- ges Eisenbahnerkind und ein sechsjähriger Knabe im Blut zusammen. Das achtjährige Kind war getötet, das sechsjährige Kind schwer verletzt (…) (Klusacek / Stimmer, Kurt (Hg.), a. a. O., S. 432) M5 Die „Reichspost“ beschrieb den Vorfall in Schattendorf so: Ein blutiger Sonntag im Burgenland! Im Burgenland ist gestern Blut geflossen. Den Versuch der sozialde- mokratischen Schutzbündler, die Frontkämpfer an ihrer erfolgreichen Werbetätigkeit zu hindern und eine Versammlung, die für gestern angesagt war, zu vereiteln, müssen zwei Menschen mit ihrem Leben und mehrere andere mit Verletzungen verschiedenen Grades bezahlen (…) Schattendorf und Mattersburg sind seit langem heißer Kampfboden (…) Und auf so vorbereitetem Boden hat man gestern zum letz- ten Streich ausgeholt, zur Verhinderung einer Front- kämpferversammlung. Man wollte das volle Fass zum Überlaufen bringen und es gelang (…) (Klusacek / Stimmer,a.a.O., S.433) M6 Die „Kronenzeitung“ berichtete am 27. Juli 1927 über eine Parlamentsdiskussion anlässlich des Justizpalast- brandes: (…) Bundeskanzler Seipel führte aus: Gestern hat uns die Trauer über die blutigen Ereignisse den Mund geschlossen. Heute aber müssen wir uns dar- an erinnern, dass unter den Verwundeten – Gott sei Dank nicht unter den Toten – auch die österreichi- sche Republik ist (…) Ich richte an die Opposition in diesem Hause im Namen der verwundeten Republik eine dringende Bitte: Ziehen Sie einmal den Tren- nungsstrich deutlich zwischen einer demokratischen Opposition und Beschützern von Revolten. Machen Sie das recht deutlich! (...) Verlangen Sie nichts vom Parlament und von der Regierung, was den Schul- digen gegenüber milde scheint, aber grausam wäre gegenüber der Republik. Verlangen Sie nichts, was ausschauen könnte wie ein Freibrief für solche, die sich empören. Verlangen Sie nichts, was Demonst- ranten und denen, die sich ihnen anschließen, um zu plündern und Häuser in Brand zu stecken, den Mut machen könnte, ein anderesmal wieder so etwas zu tun, weil ihnen ohnehin nicht viel geschehen kann. (Klusacek /Stimmer (Hg.), a.a. O., S. 447) M7 In der „Arbeiter-Zeitung“ wurde die Seipel-Rede am 27. Juli 1927 so kommentiert: Die Rede des Pharisäers. „Verlangen Sie nichts vom Parlament und der Regierung, das den Opfern und den Schuldigen an den Unglückstagen gegenüber milde scheint.“ Also sprach Seipel, der Bundeskanzler ist und ein katholischer Priester! Keine Milde gegenüber den Schuldigen an den Unglückstagen, die natürlich nur unter den Demonstranten zu suchen sind, aber auch keine Milde gegenüber den Opfern! Die „Schuldigen“ in den Kerker, die Hinterbliebenen dem Hungertod: das ist die „Bitte“, die Seipel „noch am heutigen Tage hatte“. Fünfundachtzig Menschen hat die Polizei des Herrn Seipel an einem Tag getötet. Wieviel Frauen wei- nen um ihren Gatten, wieviel Kinder um ihren Vater, wieviel Eltern um ihren Sohn! Und wieviel Ernährer sind dahingerafft, wieviel Not ist da ausgesät worden! Den Hinterbliebenen Hilfe bringen? Unangebrachte Milde: das wäre „grausam“ für die Republik! (...) (Klusacek/ Stimmer, a.a.O., S. 448) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Fasse die wichtigsten inhaltlichen Punkte der „Verzichts- erklärung“ von Kaiser Karl (M1) zusammen. Welcher Zu- sammenhang ergibt sich damit zu den „Habsburger-Geset- zen“ 1919 (M2)? 2. Schildere die Probleme, unter denen die österreichische Bevölkerung nach Kriegsende zu leiden hatte (M3). 3. Analysiere die beiden Zeitungsberichte M4 und M5 über die Vorfälle in Schattendorf. Welche Unterschiede in der Dar- stellung fallen dabei auf und wie könnte man sie erklären? 4. Vergleiche die beiden Quellen M6 und M7 imHinblick auf ihre unterschiedliche Bewertung des Justizpalastbrandes. 5. Beschreibe und analysiere das Wahlplakat M8 (vgl. Me- thode: Plakate untersuchen, S. 52 f.). M8 Wahlplakat der Christlichsozialen Partei. Wien 1930, 188 x 126,5 cm, Künstler: Rudolf Ledl. Wienbibliothek im Rathaus, Plakatsammlung, P-366. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=