Zeitbilder 7, Schulbuch

50 Kompetenzmaterial M1 Die Verzichtserklärung Kaiser Karls I.: Seit Meiner Thronbesteigung war Ich unablässig be- müht, Meine Völker aus den Schrecknissen des Krie- ges herauszuführen, an dessen Ausbruch ich keinerlei Schuld trage. Ich habe nicht gezögert, das verfassungsmäßige Le- ben wieder herzustellen, und habe den Völkern den Weg zu ihrer selbständigen staatlichen Entwicklung eröffnet. Nach wie vor von unwandelbarer Liebe für alle Mei- ne Völker erfüllt, will Ich ihrer freien Entfaltung meine Person nicht als Hindernis entgegenstellen. Im Voraus erkenne Ich die Entscheidung an, die Deutschösterreich über seine künftige Staatsform trifft. Das Volk hat durch seine Vertreter die Regierung über- nommen. Ich verzichte auf jeden Anteil an den Staats- geschäften. Gleichzeitig enthebe ich Meine österrei- chische Regierung ihres Amtes. Möge das Volk von Deutschösterreich in Eintracht und Versöhnlichkeit die Neuordnung schaffen und befesti- gen. Das Glück meiner Völker war von Anbeginn das Ziel meiner heißesten Wünsche. Nur der innere Friede kann die Wunden dieses Krie- ges heilen. Wien, am 11. November 1918 Karl (Verzichtserklärung von Kaiser Karl I., 11. November 1918; ausgestellt im Heeresgeschichtlichen Museum Wien) M2 Die Habsburger-Gesetze von 1918: § 1.1 Alle Herrscherrechte und sonstige Vorrechte des Hauses Habsburg-Lothringen sowie aller Mit- glieder dieses Hauses sind in Österreich für immer- währende Zeiten aufgehoben. § 2. Im Interesse der Sicherheit der Republik werden der ehemalige Träger der Krone und die sonstigen Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen, diese, soweit sie nicht auf ihre Mitgliedschaft zu diesem Hause und auf alle aus ihr gefolgerten Herrschafts- ansprüche ausdrücklich verzichtet und sich als ge- treue Staatsbürger der Republik bekannt haben, des Landes verwiesen. Die Festsetzung, ob diese Erklä- rung als ausreichend zu erkennen sei, steht der Bun- desregierung im Einvernehmen mit dem Hauptaus- schuss des Nationalrates zu. § 3. Der Gebrauch von Titeln und Ansprachen (…) ist verboten (…) § 5. Die Republik Österreich ist Eigentümerin des ge- samten in ihrem Staatsgebiet befindlichen bewegli- chen und unbeweglichen hofärarischen (…) Vermö- gens. § 6. Als hofärarisches Vermögen gilt das bisher von den Hofstäben (…) verwaltete Vermögen, soweit es nicht für das früher regierende Haus (…) gebunde- nes Vermögen oder aber nachweisbar freies persönli- ches Privatvermögen ist. (Online auf: Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS), http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnor men&Gesetzesnummer=10000038; 1.10.2012) M3 Aus einer Sitzung der Nationalversammlung über die Lage Deutschösterreichs im November 1919: Staatskanzler Dr. Renner (…) führte aus: (…) Wir ha- ben eine Stadt mit mehr als zwei Millionen Einwoh- nern vor uns, in der nicht nur, wie es sonst in Großstäd- ten üblich ist, ein Bruchteil der Bevölkerung verarmt ist, in welcher vielmehr die große Masse des arbeiten- den Volkes, aber auch der gesamte Mittelstand (…) geistig arbeitende Künstler und Gelehrte in lichtloser Stube hungernd frieren (…) Zu diesem Unheil kommt noch das Gefühl der Unsicherheit, die Stimmung, in der niemand weiß, wann dieser schaudervolle Zustand ein Ende nehmen soll, ob unter diesen Umständen der Winter des Entsetzens von den Millionen Einwohnern dieser Stadt überlebt werden kann. Zu diesem Bilde der Großstadt kommen die Nachrichten von außen. Wir hören, dass in den Städten und Industrieorten Steiermarks schon seit Tagen kein Brot ausgegeben werden kann, wir hören, dass Tirol und Salzburg ohne genügend Brotfrucht sind, wir wissen, dass in allen Ländern unseres Staates die Kohlenversorgung voll- ständig versagt. (…) Wir sehen die immer wachsende Zahl der Leichenbegängnisse, die sich mehrende Zahl der Kindergräber, wir sehen, wie sich das (…) Sterben eines ganzen Gemeinwesens ankündigt. (…) In der Debatte (…) kam auch Abgeordneter Dr. Otto Bauer zu Wort und legte dar: (…) (Es) scheint mir das furchtbarste (…) Symptom unserer Lage jener Zug von Holzsammlern und Holzschlägern zu sein (…) Dieses furchtbare Bild von Männern, Frauen und Kindern, die da dem Holze nachjagen (…) Es werden die Plan- ken heruntergerissen, die die Friedhöfe umgeben. Es werden die Bäume gefällt, nicht nur in den Wäldern, sondern auch in Alleen und Friedhöfen. Es sind Tele- graphenstangen gefällt worden. Es ist ein furchtbarer Heißhunger nach Brennstoff, der diese Stadt jetzt über- fällt (…) Die Menschen brauchen das Holz, weil wir kei- ne Kohle haben, aber wir können gerade Holz deswe- gen nicht zuführen, weil die Holztransporte durch den Kohlenmangel unmöglich geworden sind! (…) (Arbeiter-Zeitung, 22. November 1919, zit.nach: (Klusacek/Stimmer (Hg.), Dokumentation zur österreichischen Zeitge- schichte, 1918-1928, 1984, S 133f.) M4 Die „Arbeiter-Zeitung“ berichtete am 31. Jänner 1927 über die Vorgänge in Schattendorf: Von Frontkämpfern ermordet (…). Für Sonntag, den 30. Jänner wurde von der Sozialdemokratischen Partei in Schattendorf für 4 Uhr nachmittags in Mosers Gast- haus eine Volksversammlung mit der Tagesordnung: Die politische Lage (…) einberufen (…) Beim Gasthof Tscharmann (…) ging ein Teil der Schutzbündler in das Gasthaus (…) auf einmal gab der bekannte Front- kämpfer Josef Tscharmann aus einem Jagdgewehr im Nebenraum zwei scharfe Schüsse ab. Nur mit Mühe gelang es, die zur sozialdemokratischen Versammlung erschienene Menge zu beruhigen (…) Es kam zu einer 5. Von der Gründung der Republik bis zur Radikalisierung der Innenpolitik Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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