Zeitbilder 7, Schulbuch
9.3 Stalinismus – Gewaltherrschaft in der Sowjetunion Aus den Machtkämpfen des Politbüros nach Lenins Tod 1924 ging der Generalsekretär der kommunistischen Partei, Josef Stalin, siegreich hervor. Gegner und ehe- malige Verbündete ließ er aus der kommunistischen Partei ausschließen oder in Schauprozessen hinrichten. Bis 1929 wurde er so zum totalen Beherrscher des Par- teiapparates und mächtigsten Mann der Sowjetunion. Sein Ziel war der Ausbau des „Sozialismus in einem Lande“, nämlich der Sowjetunion, unabhängig von der Ausbreitung einer kommunistischen Weltrevolution. Seine Auffassung erklärte er 1925 so: Q Es gibt zwei Generallinien: Die eine geht davon aus, dass unser Land noch lange ein Agrarland bleiben müsse, dass es landwirtschaftliche Erzeug- nisse ausführen und Maschinen einführen, dass es dabei bleiben und sich auch in der Zukunft in der gleichen Bahn weiterentwickeln müsse. Es gibt eine andere Generallinie, die davon ausgeht, dass wir alle Kräfte aufbieten müssen, um unser Land zu einem wirtschaftlich selbstständigen, unabhängi- gen, auf dem inneren Markt basierenden Land zu machen, zu einem Land, das zum Anziehungsfeld für andere Länder wird, die nach und nach vom Kapita- lismus abfallen und in die Bahnen der sozialistischen Wirtschaft einlenken werden. Diese Linie erfordert maximale Entfaltung unserer Industrie, jedoch nach Maßgabe und im Einklang mit den Hilfsquellen, die uns zur Verfügung stehen. Sie lehnt die Politik der Verwandlung unseres Landes in ein Anhängsel des kapitalistischen Weltsystems entschieden ab. (Altrichter/Heiko, Die Sowjetunion, 1987, S. 89) Erläutere die in dieser Erklärung angeführten ideologi- schen Gründe für den Ausbau einer eigenen Industrie. Kollektivierung der Landwirtschaft, Vernichtung der Kulaken Stalin wollte mit allen Mitteln eine rasche Industriali- sierung sowie eine radikale Kollektivierung und Mo- dernisierung der Landwirtschaft durchsetzen. Ab 1927 wurden daher alle Formen der Marktwirtschaft zu gunsten einer zentral gelenkten Wirtschaft aufgegeben. Die vielen kleinen, unrentabel arbeitenden Bauernhöfe wurden zu größeren Produktionseinheiten zusammen- gelegt. Sie wurden nun von Dorfgemeinschaften kollek- tiv bewirtschaftet. Damit rentierte sich auch der Einsatz landwirtschaftlicher Maschinen. Über 100 Millionen Bauern verloren aber ihre privaten Klein- und Mittel- betriebe. Zwangsgenossenschaften (Kolchosen) und große staatliche Musterbetriebe (Sowchosen) traten an ihre Stelle. Die Bauern, vor allem die Kulaken (die bäu- erliche Mittelschicht), wehrten sich gegen die Kollekti- vierung: Sie verbrannten Getreide und schlachteten das Vieh. Die GPU (Geheime Staatspolizei) brach ihren Wi- derstand mit brutaler Gewalt. Millionen Bauernfamilien wurden seit 1930 nach Sibirien deportiert, wo Männer, Frauen und Kinder unter grauenhaften Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten. Die meisten verloren dabei ihr Leben, ebenso wie Millionen Sowjetbürger/ innen während einer großen Hungersnot 1931/32 (vgl. S. 122). Auf dem Weg zum Industriestaat Mit dem ersten Fünfjahresplan 1928 begann die Ent- wicklung der Sowjetunion vom rückständigen Agrar- staat zum zweitgrößten Industriestaat der Erde. Stalin förderte in der Folge besonders die Schwerindustrie. Alte Kohle-, Erdöl- und Erzvorkommen wurden besser genutzt, neue erschlossen. Es entstanden riesige Indus- triebetriebe, die diese Rohstoffe verarbeiteten. Für den Betrieb dieser Fabriken erschien die Erzeugung von elektrischer Energie besonders wichtig („Sozialismus = Sowjetmacht plus Elektrifizierung“). An allen größeren Flüssen ließ Stalin gigantische Staudämme errichten. Die Verkehrswege wurden stark ausgebaut, so wurde z. B. eine Bahnlinie von Turkestan im Süden des Lan- des nach dem nördlichen Sibirien gebaut, um den Aus- tausch von Baumwolle, Getreide und Holz zu erleich- tern. Im Zweiten Weltkrieg sollte sich der Ausbau von Industriezentren im Ural und in Sibirien als wichtiger strategischer Vorteil erweisen. Da im eigenen Land ein Mangel an Technikern und In- genieuren herrschte, verpflichtete Stalin auch ausländi- sche Experten. Außerdem wurden junge Sowjetbürger für höher qualifizierte Posten ausgebildet. So entstand neben der Klasse der Arbeiter und Bauern die neue pri- vilegierte Gesellschaftsschicht der „Intelligentsija“. Die Höhe der Löhne zwischen diesen Fachleuten und den Arbeiterinnen und Arbeitern klaffte oft im Verhältnis von 1 : 30 auseinander. 1 2 3 5 4 6 W „Im Namen des Kommunismus“, so lautete der Titel dieses Propa- gandaplakates, das für den Bau von Kraftwerken warb: Kubischtschew-Elektrizitätswerk, Stalingrad-Elektrizitätswerk, Friede siegt, Elektrizitätswerke der CCCP (= UdSSR), Hauptturkmenischer Kanal Amu Dar, Wüste Karakum. 1 2 3 4 5 6 Benenne die dargestellten Bildinhalte und erkläre, wel- che politische Botschaft dieses Propagandaplakat wohl enthielt. 32 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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