Zeitbilder 7, Schulbuch
127 M5 Die Historiker Edgar Wolfrum und Cord Arendes schrei- ben über die Entstehung des „Kalten Krieges“ so: Über die Frage, wo die Ursprünge des Kalten Krieges zu suchen sind, lässt sich auch heute noch trefflich streiten. Die traditionelle Auffassung des Westens, dass er durch das aggressive Expansionsstreben der Sowjetunion verschuldet sei, ist seit den 1960er-Jah- ren immer wieder in Zweifel gezogen worden. Nicht wenige westliche Experten betonten, dass die Sowje- tunion viel zu geschwächt aus dem Weltkrieg heraus- gekommen sei, um nach der Weltherrschaft greifen zu können; vielmehr habe die amerikanische Politik den Kalten Krieg ausgelöst. Aber wann schon in der Geschichte lässt sich so eindeutig urteilen? Beide Supermächte, aber auch die europäischen Länder, hatten Anteil am Scheitern einer kooperativen Nach- kriegsordnung. Es gab eine Fülle von Weichenstel- lungen, der Kalte Krieg war keineswegs unvermeid- lich. Das lag an dem missionarischen Anspruch der beiden Hauptsieger des Zweiten Weltkriegs und auch daran, dass Fremdheit und die Neigung zu ideolo- gischer Verallgemeinerung eine Verständigung, die sicherlich kompliziert gewesen wäre, erschwerten. Europa und die Welt in gegensätzliche Einflusssphä- ren aufzuspalten – das war die „bequemere“ Lösung. (…) Es kam zu einer Eskalation der Ängste und diese wiederum rief Präventivmaßnahmen hervor. Aus der „Strategie der Abschreckung“, dem „Gleichgewicht des Schreckens“ und der „atomaren Overkill-Kapazi- tät“ ist im Osten wie im Westen seit den 1950er-Jah- ren regelrecht eine Wissenschaft gemacht worden. (Wolfrum/Arendes, Globale Geschichte des 20. Jahrhunderts, 2007, S. 114) M6 Der Historiker Bernd Stöver charakterisiert den „Kalten Krieg“ als „totalen Krieg“: „Total war der Kalte Krieg (…) insofern, als er fast sämtliche Lebensbereiche okkupierte. Er war eine umfassende politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-sozi- ale Auseinandersetzung, die bis tief in den Alltag der Menschen hineinwirkte. Nur eine Einschränkung galt: Er wurde nicht mit allen militärischen Mitteln geführt. Man bereitete sich aber unentwegt auf die- sen Ernstfall, auf den Atomkrieg, vor. Beide Seiten suchten zu diesem Zweck nach Bündnispartnern, reklamierten Territorien, intensivierten die (Waf- fen-)Forschung, erhöhten die Rüstungsproduktion und versuchten, die innere Geschlossenheit ihres Blocks notfalls zu erzwingen (…) Besonders anschau- lich zeigte sich die Totalität des Konflikts dort, wo er vermeintlich unpolitische Bereiche berührte: In der Kulturpolitik, in Musik, Film und Literatur. (…) Die westliche Popmusik erwies sich über den gesamten Zeitraum des Konflikts als starkes Geschütz: Kaum ein anderer Kulturexport trug so effektiv zur „Ameri- kanisierung“ des Ostblocks bei. (Stöver, Ein totaler Krieg. In: ZEITGeschichte 3/12. Der Kalte Krieg. Weltpolitik im Schatten der Bombe, S. 16) M7 Der Journalist Alexander Cammann schreibt über einen oft übersehenen Aspekt des „Kalten Krieges“: Der Kalte Krieg (…) war vor allem ein Kampf der Ide- en. Die Demokratien des Westens und die Diktaturen des Ostens standen für unterschiedliche Wertvor- stellungen, die miteinander konkurrierten. Das be- deutete auch qualitativ einen grundsätzlich anderen Konflikt als den üblichen zwischen Großmächten und Machtblöcken um Vorherrschaft, den wir aus dem 19. Jahrhundert kennen. Das Zeitalter der Ideologi- en kannte im Grunde keinen wirklichen Kompromiss und Interessensausgleich zwischen den Imperien, weil es am Ende immer um letzte Dinge ging. (Cammann, Kampf der Ideen. In: ZEITGeschichte 3/12. Der Kalte Krieg. Weltpolitik im Schatten der Bombe, S. 66) M8 Der Historiker Bernd Stöver schreibt über die Epoche des Kalten Krieges: Im Nachhinein wirkt die Epoche des Kalten Krieges (…) auf viele Betrachter nicht nur abschreckend, son- dern auch übersichtlich und geordnet. Freund und Feind, Gut und Böse, so scheint es, waren noch klar geschieden. Doch dieser Eindruck trügt. Tatsächlich war die damalige internationale Lage weitaus viel- gestaltiger, als es heute den Anschein haben mag, denn zu den beiden Blöcken und ihren Verbündeten gesellten sich im Laufe der Zeit noch zahlreiche wei- tere Beteiligte. Als dritte Macht konnte sich von 1949 an China be- haupten, das sich rasch dem westlichen, dann aber auch Moskaus Einfluss entzog. 1964 stieg der kom- munistische Staat in den Kreis der Atommächte auf. (Stöver, Ein totaler Krieg. In: ZEITGeschichte 3/12. Der Kalte Krieg. Weltpolitik im Schatten der Bombe, S. 17) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Beschreibe, wie in M1 die Aufteilung Europas ausge- drückt wird. Beachte die Zuordnung der Länder und bringe diese Darstellung in Beziehung zu M2 und M3. 2. LiesM2 undM3 durch. Arbeite die Ziele heraus, die Truman und jene die Shdanow festlegt. Vergleiche die Zielstellungen beider Politiker und beurteile sie hinsichtlich der Bedeutung für die politische Entwicklung der genannten Länder. 3. Arbeite die in den Literaturstellen M4 und M5 genannten Gründe für die Entwicklung des Kalten Krieges heraus und analysiere die jeweils vorgebrachten Argumente. Benenne Gründe, welche eurer Meinung nach eine der Erklärungs- weisen unterstützen. Diskutiert darüber in der Klasse. 4. Arbeite heraus, wie der Kalte Krieg in den Literaturstel- len M6 und M7 charakterisiert wird. Kennzeichne dabei im Besonderen, was unter „total“ verstanden wird und erläu- tere die Rolle von „Ideologien“. 5. Der Kalte Krieg wird zunächst häufig als Auseinander- setzung der beiden Weltmächte USA und UdSSR gesehen. Ergänze diese Sichtweise durch eine Analyse der Literatur- stellen M5 und M8. 4 Kalter Krieg Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=