Zeitbilder 7, Schulbuch

Die wichtigste Quelle des Völkerrechts sind internati- onale Verträge (z. B. Staatsverträge, Konkordate, Kon- ventionen, Einvernehmen, Übereinkommen). Solche Abkommen können bilateral (zwischen zwei Staaten) oder multilateral (zwischen mehreren Staaten) geschlos- sen sein. Sie regeln die internationalen Beziehungen zwischen den Staaten oder deren Bürgerinnen und Bür- gern. Dazu gehören z. B. Verträge über die gegenseitige Rechtshilfe, wie Auslieferung, Interpol, Schadensersatz- pflicht und Urheberrecht, das Verkehrs- und Nachrich- tenwesen, das Postwesen, Wirtschaft und Kultur usw. Derartige Abkommen ermöglichen es dem Staat, seine Bürgerinnen und Bürger auch im Ausland zu schützen bzw. seine Rechtsnormen auch im Ausland gegenüber den eigenen Bürgerinnen und Bürgern durchzusetzen. Da sie die Interessen des Staates selbst kaum betreffen, gibt es im Allgemeinen kaum Schwierigkeiten mit der Einhaltung derartiger Abkommen. Anders verhält es sich mit ausgesprochen politischen Verträgen, wie z. B. Bündnis-, Friedens- oder Grenz- verträgen. Diese betreffen die nationalen Interessen der Staaten viel stärker. Bei deren Regelung spielt die Machtpolitik eine entscheidende Rolle. Das Problem der Durchsetzung Einer der wichtigsten Grundsätze des Völkerrechts ist, dass Verträge einzuhalten sind („pacta sunt servanda“). Dies schließt allerdings nicht aus, dass bei einer grund- legenden Änderung der Bedingungen Verträge einver- nehmlich geändert werden können („peaceful change“). Ein Beispiel dafür liefert die Einigung Deutschlands 1990 und der vorausgehende 2+4-Vertrag. In der Tat wurden ungleich viel mehr internationa- le Verträge erfüllt als gebrochen. Da aber Brüche des Völkerrechts die Öffentlichkeit und die Medien mehr beschäftigen als dessen Einhaltung, wird vor allem ne- gativ über das Völkerrecht berichtet. So geriet das Völ- kerrecht immer wieder in Gefahr, bloß als „ein Stück Papier“ betrachtet zu werden. Tatsächlich war und ist die internationale Ordnung immer wieder schweren Belastungsproben ausgesetzt. Man denke dabei an die vielen Kriege oder an die endlose Zahl von Menschen- rechtsverletzungen in vielen Staaten auch in der Ge- genwart. Die Gründe dafür liegen einerseits in der politischen Dynamik. Verträge werden immer in einer bestimmten historischen Situation geschlossen. Ändern sich die Be- dingungen, können auch die eingegangenen Bindun- gen für einen Staat nicht mehr angemessen erscheinen. Kommt dann der Mechanismus des „peaceful change“ nicht zum Tragen, ist meist ein Rechtsbruch die Folge. Andererseits fehlen weitgehend wirksame internati- onale Instanzen zur Durchsetzung der Prinzipien des Völkerrechts. Besonders deutlich wurde dies in der Zeit des Kalten Krieges, als die zwei Supermächte ihre schützende Hand über ihre „Bündnispartner“ hielten. Politische (Einschränkung oder Abbrüche diplomati- scher Beziehungen) und wirtschaftliche Sanktionen (Handelsembargo) zeigten häufig nur wenig Wirkung, da sie immer wieder von einzelnen Staaten unterlaufen wurden. Weltgerichte für Staaten? Jahrhunderte lang wurde der Gedanke einer inter­ nationalen Schiedsgerichtsbarkeit für zwischenstaatli- che Konflikte verfolgt. Seit 1899 gibt es in Den Haag ein ständiges Schiedsgericht für Streitigkeiten der Staa- ten untereinander. Heute ist dieses als Internationaler Gerichtshof (International Court of Justice = ICJ) das Hauptorgan für die Rechtssprechung der UNO. Damit die Schiedssprüche des ICJ international verbindlich werden können, ist eine vertragliche Verpflichtung („Unterwerfungserklärung“) nötig. Nicht alle Staaten gaben eine solche Unterwerfungserklärung ab. Trotz- dem konnte der Internationale Gerichtshof zahlreiche Konflikte lösen, wie z. B. das Südtirolproblem zwischen Österreich und Italien. Zusätzlich arbeitet seit 2002 der Internationale Strafge- richtshof (International Criminal Court = ICC) in Den Haag. Er ist das erste dauerhafte Forum zur Verfolgung von Personen, die seit 2002 für Kriegsverbrechen, Völ- kermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit (z. B. ethnische Säuberungen) und ab 2017 auch für Angriffs- kriege verantwortlich sind. Allerdings zeigt sich auch hier das Grundproblem solcher internationaler Institu- tionen: Der Strafgerichtshof kann tätig werden, wenn der Sicherheitsrat der UNO oder ein Mitgliedsstaat des Strafgerichtshofs einen Fall an ihn überträgt. Damit stärkt er das System der UNO. Aktuell sind 111 Staa- ten dem Strafgerichtshof beigetreten. Besonders starker Widerstand gegen den ICC kommt von den USA. Diese sehen sogar eine militärische Befreiung von US-Staats- bürgerinnen und -Staatsbürgern vor, wenn sie sich vor dem ICC in Den Haag verantworten müssten. Weiters noch nicht beigetreten sind u. a. die Großmächte VR China und Russland. Neben der Durchführung von Gerichtsverfahren wird vom ICC unter Mitarbeit der Universität Graz auch eine völkerstrafrechtliche Daten- bank erstellt, um internationale Verbrechen gegen die Menschlichkeit vergleichbar zu machen. Neben dem ICC bestehen noch zwei weitere vom UNO-Sicherheitsrat eingerichtete internationale Straf- gerichtshöfe. Sie befassen sich mit Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Jahr 2002 und beziehen sich auf das ehemalige Jugoslawien (ICTY seit 1993; Sitz in Den Haag) und auf Ruanda (ICTR seit 1994; Sitz in Arusha in Tansania). Fragen und Arbeitsaufträge 1. Arbeite die Unterschiede und Besonderheiten zwischen dem Internationalen Gerichtshof (ICJ) und dem Internatio- nalen Strafgerichtshof (ICC) heraus. 2. Informiere dich über Verfahren, Verurteilungen und Freisprüche der beiden Strafgerichtshofe zu Jugoslawien (ICTY) und Ruanda (ICTR). 113 4 Internationale Politik von 1945 bis 1990/91 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum de Verlags öbv

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