Zeitbilder 7, Schulbuch
106 Kompetenzmaterial M1 Über die vielen Österreicher, die an den NS-Verbrechen beteiligt waren: Österreicher waren prominent und in großer Zahl an den Verbrechen des NS-Regimes beteiligt und tru- gen entscheidend zur Durchführung des Massenmor- des an den Juden bei. Neben Adolf Hitler und Adolf Eichmann, dem in Linz aufgewachsenen Organisator der „Endlösung“, waren mit Ernst Kaltenbrunner, seit 1943 (…) zweiter Mann hinter Heinrich Himm- ler, oder mit Odilo Globocnik, (…) dem die Vernich- tungslager Treblinka, Sobibor und Belzec unterstan- den, weitere Österreicher Hauptverantwortliche der „Endlösung“ (…) Laut Simon Wiesenthal [der viele Nazi-Verbrecher in der Nachkriegszeit aufspürte; Anm.d.A.] stammten 40 Prozent des Personals und drei Viertel der Kommandanten der Vernichtungs- lager aus Österreich. Auch die drei Kommandanten des Ghettos Theresienstadt (…) stammten aus Öster- reich. Österreicher organisierten auch aus ganz Eu- ropa die Deportationen der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager: 80 Prozent der „Eichmann- Männer“ waren Österreicher (…) Auffallend viele Österreicher waren als Mitglieder der „SS Einsatz- gruppen“ an Massenerschießungen von Juden und nichtjüdischen Zivilisten im Rückraum der Ostfront beteiligt (...) Nach Simon Wiesenthals Schätzung sind Österreicher für die Ermordung von mindestens 3 Millionen Juden direkt verantwortlich (...) (Albrich u. a. (Hg.), Holocaust und Kriegsverbrechen vor Gericht. Der Fall Österreich, 2006, S. 7) M2 Über die verschiedenen Häftlingsgruppen in den Konzen- trationslagern: Die „Rassenlehre“ stand bei der Klassifikation der Häftlinge immer im Vordergrund. „Zigeuner“, die als „Asoziale“ gekennzeichnet wurden, verfolgte man wegen ihrer „rassischen“ Herkunft und nicht wegen der ihnen unterstellten gefährlichen „Aso- zialität“ (…) Die so genannten „Asozialen“ stellten eine eigene Häftlingskategorie dar. Schon vor 1938 wurden Menschen, die keiner Arbeit nachgingen, so- wie „Streuner“ und AlkoholikerInnen als „asozial“ deklariert und verfolgt (…) Die (…) Homosexuellen wurden (…) gezielt verfolgt. Himmler, der die Homosexualität als „Pest“ sah, ließ sie mit äußerster Strenge bestrafen (…) Neben dem harten Arbeitseinsatz wurden sie u. a. zu Kastrations- versuchen herangezogen. Die „Umpolung“ durch Entmannung und Hormonversuche wurde in vie- len Lagern durchgeführt. Sogar nach der Befreiung mussten Homosexuelle in Haft bleiben, da auch in der Zweiten Republik „ihr Andersein“ zunächst als verachtens- und bestrafenswert“ galt. Sie erhielten den rosa Winkel. Lesbische Frauen galten zwar als sexuell „fehlgeleitet“, jedoch wurde ihr homosexu- elles Verhalten als leicht „kurierbar“ angesehen, sie wurden daher nicht systematisch verfolgt (…) Die so genannten „Bibelforscher“ waren Zeugen Je- hovas. Siewaren die einzigen „freiwilligen“Häftlinge. Sie wurden vor und auch während der Inhaftierung befragt, ob sich ihre Einstellung gegenüber der Wehrmacht, der sie mit besonderer Ablehnung ge- genüberstanden, und ihre Glaubensideologie geän- dert hätten. Kein einziger (…) Häftling hatte seine bzw. ihre Überzeugung geändert und dem Glauben abgeschworen, keiner wurde entlassen (…) Unter den „Rassengesetzen“ litten die Juden und Jü- dinnen besonders. In der Hierarchie im Lager stan- den sie von Beginn an auf unterster Stufe und somit im Zentrum des Terrors der SS (…) Sie kamen in die schwersten Arbeitskommandos und wurden weit öf- ter gezielt misshandelt als andere Häftlinge (…) Zur bereits brutalen und rigorosen Behandlung kam (…) die systematische Vernichtung hinzu (…) Unter den „Kriminellen“ wurden „BVer“ (befris- tete Vorbeugehäftlinge, auch „Berufsverbrecher“ genannt) und „SVer“ (Häftlinge aus polizeilicher Sicherheitsverwahrung) unterschieden. Während den Berufsverbrechern wegen ihrer Brutalität höhe- re Funktionen aufgetragen wurden, ließ die SS den „SVern“ schwerste Arbeit auferlegen, da sie als „ar- beitsscheue Volksschädlinge“ galten (…) Die politischen Häftlinge, „Schutzhäftlinge“ ge- nannt, wurden anfangs nicht gekennzeichnet. Erst Ende 1937 erhielten sie einen roten Winkel (…) Die „Bettpolitischen“ wurden wegen Sexualverkehrs mit Ausländern inhaftiert und als „politisch“ eingestuft. Diese wurden von ihren Mithäftlingen verachtet (...) Die „Zigeuner“ waren Angehörige der aus „rassi- schen“ Gründen verfolgten Roma und Sinti. Sie tru- gen meist schwarze, aber auch braune Winkel. In so genannten „Zigeunerlagern“ wurden sie von ande- ren Häftlingen getrennt untergebracht. Ihre Lage war zunehmend prekär [= schwierig; Anm. d. A.], da sie zu medizinischen Experimenten herangezogen wurden, vor allem zur Erprobung der Sterilisation, woran sehr viele starben (…) (Alakus u.a. (Hg.), Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzen- trationslagern, 2006, S. 111 ff.) M3 Die Französin Micheline Maurel schildert ihre Ankunft im KZ Ravensbrück so: Blitzschnell wickelt sich alles hinter den Türen ab: Koffer abstellen, hastig sich auskleiden (…), hinauf auf einen Tisch, wo man von einer Frau festgehal- ten wurde, während eine andere mit den Fingern alle natürlichen Öffnungen abtastete. Dann musste man auf einem Schemel Platz nehmen: eine Hand wühlte in den Haaren, und die Schere tat ihr Werk (…) Alsdann: Raus! Schnell! Und wieder der große Saal, wo einen alle, die noch nicht drangekommen waren, entsetzt anstarrten […] Ich glaube, nach dem ersten Schock, den prügelnden Aufseherinnen und den zähnefletschenden Hunden bei der Ankunft, war der zweite Schock, keine Haare mehr zu haben. Für 11. Über Täter und Opfer des NS-Regimes Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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