Zeitbilder 5/6, Schulbuch

den Bürgern nicht selten weit gehende Selbstverwal- tung zugestand. Die ältesten Stadtrechte in Österreich wurden Enns (1212) und Wien (1221) verliehen. Die städtische Selbstverwaltung Seit dem 12. Jh. gelang es manchen Städten, wenn auch meist nach schweren Kämpfen, die Herrschaft des Stadt- herrn abzuschütteln und die Verwaltung der Stadt in die eigene Hand zu nehmen. An der Spitze der städtischen Selbstverwaltung stand der Stadtrat, der im Rathaus seine Sitzungen abhielt. Zu seinen Aufgaben gehörte die Sorge um die städtischen Wehranlagen, die Einhe- bung von Steuern und Abgaben, die Überwachung von Handel und Verkehr sowie die Überprüfung von Maßen und Gewichten. Dem Rat stand auch die niedere Ge- richtsbarkeit zu. Größere Städte übten sogar die Blut- gerichtsbarkeit aus, doch wurde der Stadtrichter meist vom Landesherrn bestellt. Nur in den reichsunmittelba- ren Städten oblag seine Bestellung dem Stadtrat. Doch darf man die Ratsverfassung der mittelalterlichen Städte nicht als demokratische Einrichtung missverstehen. Das aktive Wahlrecht war auf die Vollbürger beschränkt, das passive nur auf wenige, meist wohlhabende „ratsfä- hige“ Familien. Der Rat herrschte über „seine“ Bürger kaum anders als jede andere Obrigkeit auch. Ihm stan- den städtische Beamte zur Verfügung. Der Wohnsitz der ratsfähigen Familien war im Zentrum der Stadt – und da wollte man auch unter sich bleiben: Q In der Innenstadt darf sich nur niederlassen, wer mindestens 200 Gulden besitzt und dies nach- weisen kann. (Aus einer Nürnberger Ratsverordnung, 15. Jh.) Patrizier und Handwerker kämpfen um das Stadtregiment Die Bürgerschaft schied sich in zwei große Gruppen: die reichen Kaufmannsgeschlechter und alteingesessenen Grundbesitzer (= Patrizier) sowie die Kleinhandwerker und Kleinhändler. Zunächst spielten die Patrizier die führende Rolle in der Stadtregierung. Diese entschied nicht nur über allgemein politische, sondern auch die Handwerker betreffende Fragen (Steuern, Löhne, Preise u. a.). In vielen Städten Mittel- und Westeuropas waren „Bürgerkriege“ die Folge, weil der „Stadtadel“ eine Re- gierungsbeteiligung der Handwerker und Kleinhändler strikt ablehnte. Die Zünfte entschieden diese Kämpfe – meist mit Hilfe der städtischen Unterschichten – in der Regel für sich. Fast überall wurden sie in den Stadtrat aufgenommen. Doch die unselbstständigen Handwer- ker und Lohnarbeiter hatten weiterhin keine politischen Mitspracherechte.  Bürgerinnen und Bürger bei einer Tanzveranstaltung. Gemälde eines unbekannten Malers, um 1500. Die italienischen Seestädte und der Fernhandel Der wirtschaftliche Aufschwung der Städte im Hoch- und Spätmittelalter hing eng mit der Ausweitung des Fern- und Binnenhandels zusammen. Aus dem Handel mit dem Vorderen Orient, dem Levantehandel, zogen die italienischen Seestädte auf Grund ihrer günstigen geografischen Lage den größten Nutzen. Vornehmlich die Handelsherren aus Venedig, Pisa und Genua nütz- ten die Häfen des östlichen Mittelmeeres (in Ägypten, Syrien, Konstantinopel) und auch des Schwarzen Mee- res für ihre einträglichen Geschäfte. Denn dort endeten die wichtigsten Karawanenstraßen aus Arabien, Indien, China und Afrika. Flandern, ein Zentrum des mittelalterlichen Handels Das zweite Handelsnetz ging von Flandern aus. Es war damals das am dichtesten besiedelte Land Europas; sei- ne wichtigste Stadt war der Hafen Brügge. Schon seit dem Ende des 13. Jh. gingen dort genuesische Händler an Land. Sie kauften Holz und Pelze aus den Ostseelän- dern, englische und flandrische Tuche, Salz, Wein und Getreide aus Frankreich und boten dafür ihre Waren aus dem Orient an. Auch Kaufleute aus Venedig und Florenz, aus Kastilien und England errichteten hier bald ihre Handelsniederlassungen – ebenso wie die Vertreter der Hanse.  Verkaufsstände in einer mittelalterlichen Stadt, aus einer französi- schen Handschrift Mitte des 15. Jahrhunderts. Rechts ist ein Apotheker vor Regalen mit Tiegeln und Mörsern zu sehen, links ein Schneider. Im Hintergrund hantiert ein Bader, schon von weitem an den aufgehängten Becken zu erkennen. 99 Das Mittelalter 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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