Zeitbilder 5/6, Schulbuch
15. Die Stadt – eine neue Kraft im Mittelalter Die Menschen im frühen Mittelalter fanden die Stadt als Erbe der Antike vor. Da die Lebensweise der Germanen und Slawen aber nicht städtisch ausgerichtet war, wuss ten sie mit diesem Erbe zunächst nicht viel anzufangen. Sie ließen daher diese Städte – z. B. im Frankenreich – völlig verfallen. Es war hauptsächlich die Kirche, wel- che Reste der spätantiken Urbanität in das Mittelalter hinüberrettete. Seit der Mitte des 12. Jh. begannen die deutschen Kö- nige mit einer umfassenden Förderung der Städte. In vielen Teilen Europas vollzog sich in jener Zeit ein wirt- schaftlicher und politischer Aufstieg. So war König Ru- dolf von Habsburg ein König der Städte: L 28 % der von ihm überlieferten Urkunden wur- den für Städte ausgestellt. Städte waren auch sei- ne wichtigsten Aufenthaltsorte und erbrachten die bedeutendsten finanziellen Leistungen, auf die er Anspruch hatte. (Boockmann, Stauferzeit und spätes Mittelalter, 1987, S. 186) Entstehung und Entwicklung der mittelalterlichen Stadt Doch die Entwicklung war von Land zu Land verschie- den. Im 12. und 13. Jh. vollzog sich in vielen Teilen Eu- ropas der Aufstieg der Städte. Die ersten städtischen Gemeinwesen, die große wirt- schaftliche und politische Bedeutung erlangten, waren jene Oberitaliens und Flanderns. In Mittel- und Osteu- ropa machte sich der Einfluss der Städte erst später be- merkbar. Erst als mit den Kreuzzügen der Handel in immer stär- kerem Maße zunahm, blühten auch hier viele Städ- te wieder auf. Neue Städte wurden als Handels- und Wirtschaftszentren an besonders geeigneten Plätzen, an Flussübergängen und Straßenkreuzungen, in der Nähe von Flussmündungen, bei Bischofssitzen, Burgen und Klöstern gegründet. Die mittelalterliche Stadt wurde stark befestigt. Sie war von einem Graben und einer Mauer umgeben und bildete inmitten der feudalen Wirtschafts- und Gesell- schaftsordnung auch eine verwaltungsmäßige, rechtli- che und wirtschaftliche Einheit mit eigenen Gesetzen (Selbstverwaltung). Die Mauer, eigene Gerichtsbarkeit sowie Marktrecht und städtische Selbstverwaltung bildeten schließlich die wesentlichen Merkmale einer mittelalterlichen Stadt. Ihre Rechtsstellung war sehr unterschiedlich. So gab es im Deutschen Reich Städte, die unmittelbar dem König unterstanden (z. B. Augsburg, Regensburg, Köln, Bre- men, Lübeck). Das waren „reichsfreie“ bzw. „reichsun- mittelbare“ Städte. Sie spielten eine bedeutende wirt- schaftliche und politische Rolle. Andere Städte hatten einen Fürsten, Bischof oder Abt zum Herrn („landes- fürstliche“ Städte, z. B. Salzburg). Die Bewohner der Städte Die in den Städten lebenden Bewohner wurden, wenn sie Haus und Grund in der Stadt besaßen, seit dem Ende des 11. Jh. Bürger genannt. Sie waren in der Hauptsa- che Kaufleute und Handwerker. Sie unterschieden sich von der Masse der Landbevölkerung nicht nur durch ihren Beruf, sondern auch durch ihre Rechtsstellung: Der Bürger bzw. die Bürgerin war persönlich frei und gehörte einem besonderen Stand an, der sich von den übrigen Gruppen der Gesellschaft deutlich abhob. L Die Städter sind nicht mehr Untertanen wie die Landbewohner, sondern „andere“ Menschen, die als Privilegierte neben die herrschenden Stände des Klerus und des Adels treten: der dritte Stand. Die Privilegien haften am Stadtboden (Stadtluft macht frei!). Nicht der Rechtsstand der Herkunft war für den Bürgerstand entscheidend, sondern die Tatsa- che, dass jemand ein Jahr und einen Tag auf Stadt- boden gelebt hat. (Zenz, Geschichte aktuell 2, 1981) Tagelöhner, Dienstleute, Arme, Bettler und Juden zähl- te man in der Regel nicht zu Vollbürgern. Viele dieser Menschen waren aus dem Umland eingewandert, ihren Grundherren entlaufen. Gerade diese Unterschichten prägten das Straßenbild der Städte, denn die reichen Leute traten wohl nur bei feierlichen Anlässen in größe- rer Zahl öffentlich in Erscheinung. Während die Armen sich zu Fuß durch die schmutzigen Straßen drängten, legten die Vornehmen auch nur kurze Strecken zu Pferd zurück. Da es zu wenig Armenfürsorge gab, umlagerten Bettler ständig die Kirchen, den Markt und die Häuser der Reichen. Wie sieht die soziale Gliederung deines Wohnortes aus? Das Markt- und Stadtrecht Q Aus dem Wiener Stadtrecht: Schlägt ein Bürger einem anderen Hand oder Fuß, Auge, Nase oder ein anderes Glied ab, so hat er dem Richter 10 Talente und dem Verwundeten eben- so viel zu bezahlen. Hat er kein Geld, so büßt er Glied um Glied. Der Bürger, in dessen Haus Feuer entsteht, sodass die Flammen zum Dach hinausschlagen, zahlt dem Richter 1 Talent Strafe. Aus den angesehens- ten und verständigsten Bürgern der Stadt sollen 24 gewählt werden, die in Eid zu nehmen sind und bei jedem öffentlichen Kauf oder Verkauf wenigstens durch zwei Mitglieder vertreten sein sollen. (Nach Zenz, Geschichte aktuell 2, 1981) Eines der wichtigsten Rechte einer mittelalterlichen Stadt war das Recht Märkte abzuhalten. Dieses Markt- recht wurde ihr vom Stadtherrn verliehen. Es wurde zur Grundlage des Stadtrechtes, in welchem der Stadtherr 98 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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