Zeitbilder 5/6, Schulbuch

14.4 Die Städte überwinden die Katastrophe schneller Der Mangel an Arbeitskräften hebt Löhne und Preise Die Agrarkrise des 14. und 15. Jh. brachte für Bauern und Landadel in weiten Teilen Europas einen wirt- schaftlichen Abstieg. Die Städte erholten sich von den Katastrophen relativ schnell. Zwar hatte die Pest in den eng gebauten, unhygienischen Stadtsiedlungen ein viel ärgeres Massensterben bewirkt als auf dem Lande, doch bei den Überlebenden verblieben Geld und Gü- ter. Damit stieg die Nachfrage nicht nur nach Produkten des täglichen Bedarfs, sondern auch nach Luxusgütern. Der Mangel an Arbeitskräften führte im Unterschied zur Landwirtschaft zu einer viel geringeren Produktion an handwerklichen Gütern. Infolgedessen stiegen nicht nur die Preise, sondern auch die Löhne kräftig. Diese Wirtschaftssituation lockte besonders Zuwande- rer vom Lande an: Sie schlossen jene Lücken, die die Seuche in die Stadtbevölkerung gerissen hatte. Der gängige Slogan „Stadtluft macht frei!“ war also nicht der einzige Anreiz für viele (geflüchtete) Untertanen, um innerhalb schützender Mauern eine andere „Welt“ kennen zu lernen und eine neue Heimat zu finden. War die Stadt bisher vor allem Zentrum der Kaufleute, so erlebte nun auch das Handwerk einen gewaltigen Aufschwung. Der Wunsch nach besserer Qualität führte zu einer größeren Spezialisierung der einzelnen Gewer- be. Freilich versuchten die alteingesessenen Meister und Kaufleute oftmals den Zustrom fremder Handwer- ker und Händler aus Konkurrenzangst zu unterbinden. Doch stießen sie dabei auf den Widerstand mancher Landesfürsten, wie eine für Wien ausgestellte Urkunde Herzog Rudolfs IV. von Österreich beweist: Q Wir wollen und bestimmen, dass alle Bürger, Kaufleute, Tuchhändler, Arbeiter, Handwerker, das sind Schneider, Kürschner, Fleischhacker, Ge- treidehändler, Metsieder, Goldschmiede, Sattler, Zimmer-leute, Maurer, Maler, Bildschnitzer, Schmie- de, Wagner, Ledermacher, Schuster, Fischer, aus welchen Ländern und Städten sie auch kommen, die sich in der Stadt oder in den Vorstädten niederlas- sen und da sesshaft und wohnhaft sind, dass diesel- ben ihre Arbeit oder Handwerk treiben und ausüben sollen. Und es soll sie niemand daran hindern oder davon abhalten. Und welcher Arbeiter oder Hand- werker also nach Wien zieht und sich da niederlässt und sesshaft bleibt, der soll drei Jahre lang von der Schatzsteuer für Bürger befreit sein. (Nach Csendes, Die Rechtsquellen der Stadt Wien, 1986, S. 136) Welche Gründe könnten Rudolf IV. zu diesem Entgegen- kommen gegenüber Zuwanderern bewogen haben? Kampf gegen Patrizier und Handelsbeschränkungen Am Aufblühen der Städte war auch der Handel ent- scheidend mitbeteiligt: Die schon bestehenden, regio- nalen Handelsbeziehungen wurden ausgebaut – vor al- lem für tägliche Gebrauchsgüter. Daneben kam es jetzt auch zur Erschließung eines Fernhandelsnetzes. Es war nicht mehr ausschließlich auf seltene oder exotische Lu- xusgüter ausgerichtet, sondern auch auf den Export und Import von Massenwaren für den täglichen Bedarf. Die großen Handelsstädte schlossen miteinander Ver- träge und erkauften sich kaiserliche Privilegien, um die vielen Handelsbeschränkungen abzubauen. Der Aufschwung von Handel und Gewerbe hatte auch po- litische Folgen: In vielen Städten Europas setzten sich nun – oftmals erst nach harten Kämpfen – die reich und selbstbewusst gewordenen Kaufleute und Zunfthand- werker gegen die alten Patrizier durch: Sie wurden end- lich in die Stadtregierungen aufgenommen! Fragen und Arbeitsaufträge 1. „AIDS – die Geißel Gottes im 20. Jh.“ – Wie beurteilt ihr diese Aussage? Lassen sich im Umgang mit dieser Krank- heit und den damit verbundenen Ängsten und Problemen Ähnlichkeiten mit den Pestepidemien feststellen? 2. Informiere dich in den Medien über aktuelle wirtschaftli- che Probleme der Bauern in Europa. 3. Was bedeutet der Abbau von Privilegien und Handels- schranken für die Wirtschaft? Findet ihr auch Beispiele aus der Gegenwart?  Das Linzer Tor in Freistadt. Freistadt, an der Straße nach Prag gelegen, war bis zu Beginn der Neuzeit eine der reichsten und wichtigsten Han- delsstädte Oberösterreichs. 97 Das Mittelalter 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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