Zeitbilder 5/6, Schulbuch
11. Orient und Okzident – Kontakte und Konflikte 11.1 Die Kreuzzüge Für die Menschen des Mittelalters gab es neben der Entsagung der Welt im Kloster noch ein Mittel, um ihre Sünden zu tilgen und Gottes Wohlgefallen zu erlangen: die Mühsal einer Wallfahrt auf sich zu nehmen. Wall- fahrt bedeutete Buße, Prüfung, Läuterung, eine Vorbe- reitung auf das Jüngste Gericht. Santiago de Composte- la (angebliche Begräbnisstätte des Apostels Jakobus) in Spanien, Rom und Jerusalem zogen die meisten Pilger an. Ab dem 11. Jh. verstand das aufstrebende Ritter- tum die Wallfahrt zunehmend mehr als Kriegsdienst für Christus. In der 2. Hälfte des 11. Jh. fielen die Seldschu- ken, die gläubige Moslems waren, in Kleinasien ein und beraubten Byzanz gut der Hälfte seines Reiches. Jetzt erst nahm man den Hilferuf des oströmischen Kaisers ernst und beschloss, die muslimischen Eroberer aus den ehemals christlichen Gebieten zu vertreiben. Das ei- gentliche Ziel der Christen war, Jerusalem unter christ- liche Herrschaft zu bringen. „Gott will es“ Die Führung dieser Bewegung übernahm Papst Urban II. Zum Abschluss der Synode von Clermont (1095) hielt er vor einer großen Menschenmenge eine Rede, in der er zum Kreuzzug aufrief. (vgl. dazu das Kapitel „Politi- sche Bildung: Die Beeinflussung von Massen“ S. 90 f.). Als der Papst geendet hatte, erhob sich aus der Menge eine begeisterte Zustimmung: „Gott will es!“ In sieben größeren Kreuzzügen (1096 – 1291) wälzten sich ungeheure Massen gegen das Heilige Land, um die heiligen Stätten den Händen der Ungläubigen zu entrei- ßen. Die Begeisterung kannte zunächst keine Grenzen. Siege und Niederlagen Das Heilige Land erreichten jedoch nur die gut orga- nisierten Ritterheere. Sie eroberten im ersten Kreuzzug (1096–1099) nach fünfwöchiger Belagerung unter gro- ßen Verlusten Jerusalem. In einem wahren Blutrausch richteten sie unter der Bevölkerung ein unvorstellbares Massaker an. Voll Schmerz und Empörung berichtet der arabische Dichter Mosaffer Allah Werdis: Q Wir haben in Massen unser Blut vermischt mit unseren Tränen. Keiner von uns ist noch im Stan- de, den Feind zurückzuschlagen, der uns bedroht. Oh dass so viel Blut geflossen ist, dass man so vielen Frauen nichts hat gelassen, ihre Scham zu schützen als die Flächen ihrer Hände. Zwischen dem Stoß der Lanzen und der Schwerter ist der Schreck so furcht- bar, dass das Antlitz der Kinder weiß wird vor Angst. (Samman und Mazal, Die Arabische Welt und Europa, 1988, S. 33) Die darnach errichteten Kreuzfahrerstaaten, wie das christliche Königreich Jerusalem, behaupteten sich ge- gen die Araber etwa bis zum Ende des 12. Jh., entlang der syrischen Küste in Resten noch ca. 100 Jahre länger. Mit der Eroberung der Stadt Akkon (1291), wobei die arabischen Truppen gegen die Bewohner der Stadt ähn- lich grausam vorgingen wie seinerzeit die christlichen Kämpfer bei der Erstürmung von Jerusalem, fand die Kreuzzugbewegung ihr Ende. Was blieb von den Kreuzzügen? Politische und kulturelle Auswirkungen Lange Zeit veranschlagte man die Bedeutung der Kreuz- züge sehr hoch. Auf Grund neuer Forschungsarbeiten neigt man aber gegenwärtig eher zu einer zurückhal- tenden Bewertung hinsichtlich der politischen Auswir- kungen. Während sie für die Muslime kaum mehr als eine Reihe von Grenzzwischenfällen bedeuteten, wurde das Ostkirchentum nachhaltig geschwächt und unter- lag schließlich den türkischen Osmanen. Die Kreuzzüge dienten in Europa zunächst der Ausbildung des Ritter- tums. Sie gaben Stoff ab für die höfische Dichtung, die zu einem guten Teil „Kreuzzugsdichtung“ war. Dabei wurde der ideale Ritter besungen, dessen Hauptfeinde die Sarazenen waren. Die 200 Jahre dauernden Konfrontationen brachten es aber unvermeidlich mit sich, dass Araber und Europäer, Muslime und Christen vermehrt miteinander in Kontakt kamen. Man knüpfte zeitweise auch friedliche Kon- takte und trieb miteinander Handel. Zwar kamen die Kreuzfahrer mit den Zentren der arabischen Bildung in Bagdad und Damaskus nie in Berührung. Allerdings er- fuhren die geographischen Vorstellungen der Europäer eine gewaltige Ausdehnung und größere Genauigkeit. Das kam dem Seehandel zugute. Das Handelsvolu- men erweiterte sich beachtlich. Mit dem Aufschwung des Seehandels stieg auch der Geldbedarf. In diesem Zusammenhang erwarben die Europäer Kenntnisse in Bank-, Geld und Transportgeschäften. Moslems und Christen im Kampf um Jerusalem, Buchmalerei aus ei- ner Handschrift des 13. Jahrhunderts. 86 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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