Zeitbilder 5/6, Schulbuch
Frankreichs Entwicklung zum Territorialstaat Nach dem Aussterben der westfränkischen Karolinger (987) wurde in Frankreich Hugo Capet, Herzog von Francien, zum König gekrönt. Er begründete eine neue Dynastie, die in verschiedenen Linien bis zum Jahr 1848 regierte. Die capetingischen Könige hatten zunächst nur über die Île de France, das Gebiet um Paris, geherrscht. Der Großteil des Landes war in den Händen zahlreicher Lehensfürsten, unter denen der Herzog der Normandie (seit 1066 auch König von England) der mächtigste war. Dennoch gelang es dem französischen Königtum – im Unterschied zum deutschen –, im Verlauf des Mittelal- ters das ganze Land seiner Zentralgewalt zu unterwer- fen. Die Gründe hierfür waren mehrfach: Die Königswürde war in Frankreich erblich. Das trug –– entscheidend zur Festigung der königlichen Stellung bei. Die französischen Könige besaßen mit Paris eine feste –– Residenz im Zentrum des Landes, die bald auch zum politischen und geistigen Mittelpunkt des ganzen Landes wurde. Von noch größerer Bedeutung war jedoch die unter- –– schiedliche lehensrechtliche Entwicklung in Deutsch land und Frankreich. Während im Reich der König die Lehen immer wieder vergeben musste (Erblichkeit der Lehen), konnte sie der französische König einbe- halten. Er ließ sie durch bezahlte, von ihm abhängige Beamte verwalten. Der Aufstieg der französischen Monarchie vollzog sich im 13. Jh. König Philipp II. (1180–1223) gelang es, auf Grund des Thronstreites zwischen Staufern und Wel- fen vom Reich nicht behindert, dem englischen König Johann ohne Land einen großen Teil seines Lehensbe- sitzes in Frankreich zu entreißen. Der Kampf zwischen den beiden Ländern nahm damit seinen Anfang. Die meisten französischen Lehensfürsten unterstützten ih- ren König gegen die jahrhundertelange Bedrohung von Seiten Englands. Ludwig IX. (1226–1270) brachte nach den Albigenserkriegen Südfrankreich unter seine Herr- schaft. In der mehr als hundertjährigen Auseinanderset- zung mit England („Hundertjähriger Krieg“, 1339–1453) wuchs Frankreich zur Nation zusammen. Was kannst du über die Rolle der Jeanne d’Arc im Hun- dertjährigen Krieg in Erfahrung bringen? Das mittelalterliche England als einheitlicher Staat Mit Ausnahme von Wales, Cornwall und Schottland wurde Britannien zur Zeit der Völkerwanderung von den germanischen Stämmen der Angeln, Sachsen und Jüten erobert. Mit der Schlacht von Hastings (1066) er- oberten die aus Frankreich kommenden Normannen die Insel. Im Jahr 1154 ging die englische Krone an das Haus An- jou-Plantagenet, das in Frankreich reich begütert war. Heinrich II, der erste König aus diesem Geschlecht, war einer der bedeutendsten Herrscher seiner Zeit. Er mach- 9. Die Entwicklung politischer Gebilde in Europa: Vorläufer der modernen Staatenwelt? te Irland und Wales tributpflichtig, unterwarf Schottland seiner Lehenshoheit und versuchte auch die Kirche sei- ner Herrschaft zu unterwerfen. Seine beiden Söhne, Ri- chard (Löwenherz) und Johann (ohne Land), verloren die Machtstellung, die ihr Vater geschaffen hatte. Diese Situation nützten der Adel, die Kirche und die Bürger von London zur Festigung ihrer Macht. Sie zwangen 1215 König Johann zur Unterzeichnung der „Magna Charta libertatum“. Das berühmte Dokument verbriefte der Kirche die freie Wahl der Bischöfe und Äbte. Es bestätigte die Privilegien der Städte und band den König bei der Ausschreibung von Steuern an die Zustimmung eines von den Adeligen beschickten „Großen Rates“. Darüber hinaus gewährte es jedem freien Bürger Schutz vor willkürlicher Verhaf- tung und Aburteilung und sorgte für die Vereinheitli- chung von Maßen und Gewichten. Man kann die „Ma- gna Charta“ als den Grundpfeiler betrachten, auf dem die freiheitliche englische Verfassungsentwicklung der folgenden Jahrhunderte aufbaute. Der nächste Schritt in diese Richtung wurde noch im 13. Jh. getan. Ab dem Jahr 1265 wurden zu den Beratungen der Barone und Bischöfe auch Vertreter des Kleinadels und des Bürgertums zugezogen. Die Versammlung führ- te die Bezeichnung „Parliamentum“ (Unterredung, Ge spräch). Ab dieser Zeit vollzog sich das innere Geschick Englands in Wechselwirkung zwischen Königtum und Parlament. Das Parlament sicherte sich mit dem Steuer- bewilligungsrecht und dem Recht der Teilnahme an der Gesetzgebung die Mitbestimmung bei der Gestaltung des Staates. Der Kriegmit Frankreich, der wegen seiner langenDauer der „Hundertjährige Krieg“ genannt wird (1339–1453), brachte den Engländern zunächst große Erfolge und Ge- bietsgewinne in Frankreich. Bauernaufstände in beiden Ländern unterbrachen die Kämpfe. Nach wechselvollem Verlauf gewann Frankreich schließlich den Krieg. Die Engländer wurden aus Frankreich vertrieben. Zeitgenössische Darstellung der Jeanne d‘Arc, Handschrift und Fe- derzeichnung (1429). Jeanne d’Arc wurde 1431 in englischer Gefangenschaft als „Hexe“ verbrannt. Es war ihr, ei- nem einfachen Bauernmädchen, gelungen, an der Spitze des fran- zösischen Heeres die Englän- der aus Orleans zu vertreiben. Bei dem Versuch, auch Paris zu be- freien, nahmen sie die Burgunder gefangen und übergaben sie gegen ein hohes Lösegeld dem englischen König. 82 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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