Zeitbilder 5/6, Schulbuch

Das Heil macht den König Eine wichtige Voraussetzung für den Aufstieg des Hei- ligen Römischen Reiches zur Führungsmacht in Europa war die Anerkennung der Macht der Könige durch ihre Gefolgsleute. Für Otto I. ging es in der Schlacht auf dem Lechfeld auch um sein „Königsheil“. Hier musste sich erweisen, ob er der „Heilsmächtige“ war, der dem Volk Frieden, dem Land fruchtbare Ernte und seinen Krie- gern Ruhm verschaffen konnte. Um wirklich König zu sein, genügte es nicht, bloß die Herrscherinsignien (Krone und Schwert) zu besitzen. Vielmehr brauchte er dazu auch das nötige Glück (Heil), um die Gegner tatsächlich zu bezwingen. Am Sieg über sie sei nämlich zu erkennen, wie viel Stärke Gott dem Herrscher verliehen habe. Darüber hinaus war es auch eine der wichtigsten Aufgaben des christlichen Königs, für Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen. Die Menschen erwarteten, dass der König die Feinde bekämpft und besiegt. Deshalb ließ Otto I. z. B. den Heerführer der Ungarn noch auf dem Lechfeld hängen, um diesem end- gültig seine Heilskraft zu nehmen. Seine eigene Heils- kraft sollte durch keine andere mehr gefährdet sein. Im Handeln des Herrschers sah man jene Eigenschaf- ten zum Ausdruck kommen, welche man als von Gott gegeben betrachtete. Die Salbung durch den Bischof mit Chrisam, dem heiligen Öl, das in seine Haut ein- dringt, erfüllte ihn mit der Kraft Gottes. Sie machte den Herrscher zu einem Mann, der sich auch eng dem Sen- dungsauftrag der Kirche verpflichtet fühlte. Der Bischof Otto von Freising (gest. 1158) beschreibt die Salbung eines deutschen Bischofs: Q Am gleichen Tage und in der gleichen Kirche wurde der Bischof durch die gleichen Bischöfe geweiht, die den König gesalbt hatten, damit die Ge- genwart des Königs, des obersten Priesters, bei die- ser Feierlichkeit als ein glückliches Vorzeichen für die Zukunft angesehen werden könne, denn beide herrschen im Namen Christi. (Duby, Die Kunst des Mittelalters I, 1984, S. 25) Das Lehenswesen – eine staatstragende Konstruktion Der König bildete die Spitze des mittelalterlichen Staats- wesens. Den tragenden Unterbau der Königsherrschaft bildete eine auf den König ausgerichtete Gefolgschaft. Diese verpflichtete er sich durch Geschenke, Ausrüs- tung, Beute und vor allem durch Land. Somit wurde das Lehenswesen zur staatstragenden Einrichtung des Rei- ches im Mittelalter. Die Grundlage des Lehenswesens bestand aus zwei miteinander verbundenen Bereichen. Der persönliche Bereich – Vasallität und Treuegelöbnis Mit Vasall (keltisch Gwas, Knecht, aus dem lat. vassus = vassallus) bezeichnete man einen Mann, der sich in ein Abhängigkeits- und Schutzverhältnis zu einem mächti- geren Herrn begeben hatte. Für Schutz und Schirm, den ihm der Herr gewährte, verpflichtete er sich zu lebens- langem Dienst und Gehorsam. Diese Dienste bestanden aus Rat und Hilfe. Hilfe meinte dabei in erster Linie Waffenhilfe, z. B. die Verpflichtung, im Heer des Herrn mitzukämpfen. Rat bedeutete vor allem Beisitz bei Ge- richt. Es war also ein beiderseits bindendes Vertrags- verhältnis und wurde durch das Gelöbnis der Treue be- sonders betont. Der Lehensmann gelobte seinem Herrn unverbrüchliche Treue.  Aus dem Sachsenspiegel: Waffenlos kniet der Lehensmann vor sei- nem Herrn nieder, der Herr umfasst seine gefalteten Hände. In dieser feierlichen Zeremonie findet die Unterwerfungs- oder Ergebenheitshand- lung ihren sichtbaren Ausdruck („Handgang“). Q Solange ich lebe, ist es meine Pflicht, dir zu die- nen und dich zu achten. Deine Freunde werden meine Freunde sein, deine Feinde meine Feinde. (Sachsenspiegel, 13. Jh.) Treueeide zwischen Gefolgsmann und Herrn verpflich- teten beide „Vertragspartner“ gleichermaßen. Der Mann verpflichtete sich zu Hilfe und zu Diensten, der Herr zu „Schutz und Schirm“. Ein solches Dienstverhält- nis schuf Ansehen, Macht und Ehre. Der Vasall konnte von seinen Verpflichtungen auch entbunden werden: Q Wir sullen den herrn darumb dienen, daz si uns beschirmen. Beschirmen si uns nit, so sind wir inen nichts dienstes schuldig nach rechts. (Schwabenspiegel, 13. Jh.)  Der König erlässt das Aufgebot an den bereits gerüsteten Vasallen. Dieser bietet seinerseits als Lehensherr seine Lehensmänner (Unterva- sallen) auf. Die „VI“ bedeutet: „innerha lb von sechs Wochen (ist das Aufgebot zu stellen)“. Aus dem Sachsenspiegel, um 1230. 4. Der Feudalismus – die politische Grundlage des Hochmittelalters 70 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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