Zeitbilder 5/6, Schulbuch

1.1 Der lange Marsch der Germanen Römer und Germanen in zwiespältiger Nachbarschaft Seit Jahrhunderten entwickelten sich zwischen Rö- mern und Germanen vielfältige Formen des Kontaktes. Einerseits wollten die „Barbaren“ an der Pax Romana teilhaben und z. B. durch Handel zu den Kulturen des Mittelmeerraumes in Beziehung treten. Auf diese Weise wollten sie den eigenen Lebensstandard heben. Ande- rerseits häuften sich ab Mitte des 3. Jh. deren kriege- rische Einfälle. Überfälle mit Vertreibung, Flucht und Angst vor Ermordung prägten das Leben der romanisch- keltischen Grenzbevölkerung. Die militärischen Grenzen wurden dabei auf der Seite der Römer ausgebaut (z. B. Rheingrenze, Ausbau des Limes zwischen Rhein und Donau, Donaugrenze). Die kulturellen Grenzen hingegen verwischten sich zuneh- mend. Dieser Prozess wurde dadurch beschleunigt, dass germanische Söldner in die römischen Legionen zur Verteidigung der Grenzen aufgenommen wurden. Teilweise siedelten sogar ganze germanische Bevölke- rungsgruppen in grenznahen Gebieten des Reiches. Mit ihnen wurden Verträge zur Abwehr einfallender Germanen abgeschlossen. Auf diese Weise wurden germanische Stämme zu Verbündeten Roms (= Föde- raten). Der Hunnensturm löst eine Lawine aus Ab der Mitte des 4. Jh. spitzte sich die Situation an der Donau durch ein entscheidendes Ereignis zu: Die Hun- nen, die ursprünglich im östlichen Zentralasien behei- matet waren, tauchten am Kaspischen Meer auf. Der Hunnensturm im Jahr 375 n. Chr. über den Don, der als Ostgrenze Europas galt, löste die germanische Völker- wanderung aus. Sie sollte mehr als 200 Jahre dauern und Europa völlig umformen. Zunächst zog Attila mit seinen Streitkräften quer durch Europa nach Gallien, fast bis nach Paris. Dort wurde sei- ne Streitmacht von einem aus Römern und Germanen (Franken und Westgoten) bestehenden Heer 451 n. Chr. auf den „Katalaunischen Feldern“ geschlagen. Die Germanen stürzen den Kaiser in Rom Doch nicht der Hunnensturm, sondern die Völkerwan- derung der Germanen brachte schließlich den Unter- gang des Westreiches. Deren Stämme akzeptierten die Oberhoheit des west- römischen Kaisers immer weniger. Die römische Macht begann sich aufzulösen. Der Germanenfürst Odoaker brach mit seinen kriegerischen Scharen von der Donau nach Italien auf. Zunächst stellte sich Odoaker mit sei- nen Kämpfern noch in den Dienst des Reiches. Als er aber für seine Leute Land zur Ansiedlung forderte, wur- de ihm dies verweigert. Daraufhin riefen ihn seine Sol- daten zum König von Italien aus. Er setzte den weströ- mischen Kaiser Romulus Augustulus („das Kaiserlein“, 1. Die Umgestaltung der antiken Welt wegen seines kindlichen Alters) im Jahr 476 n. Chr. ab und schickte ihn in die Verbannung. Vom oströmischen Kaiser Zeno ließ er sich seine Herrschaft in Italien be- stätigen. Seiner Regierung wiederum bereiteten die Ostgoten unter Führung Theoderichs (in der Sage: Dietrich von Bern) bereits 493 das Ende. Ostroms Kaiser Zeno unter- stützte diesen Vorgang mit Wohlwollen, wurde er auf diese Weise doch die Ostgoten los, die nun in Italien und einem großen Teil Mitteleuropas ein bedeutendes Reich errichteten. Nach dem Tod Theoderichs (526 n. Chr.) zerfiel das Ostgotenreich. Das (West-)Römische Reich geht langsam unter Ebenso wenig wie Rom an einem Tag erbaut wurde, ist das Weströmische Reich in einem Jahr untergegangen. Das Weltreich, das dem Mittelmeerraum für etwa ein halbes Jt. seine politische Einheit gab, war im Laufe von 200 Jahren Stück für Stück auseinander gebrochen. Noch einmal konnte der oströmische Kaiser Justinian (gest. 565) die Einheit des Imperium Romanum durch die Eroberung Italiens für kurze Zeit herstellen. Doch schon im Jahre 568 beendeten die Langobarden, die aus Pannonien einfielen, die oströmische Herrschaft im größten Teil Oberitaliens. Sie gründeten ein eigenes Reich mit der Hauptstadt Pavia. Mit dem Zug der Langobarden ging die Zeit der germa- nischen Völkerwanderung zu Ende. Was spricht dafür, das Ende des Altertums mit 476 anzu- setzen, was spricht für das Jahr 568? Nöte und Ängste – das Christentum bietet Hoffnung Die Zeit der Völkerwanderung bedeutete für die damals betroffene Bevölkerung Raub, Krieg, Verwüstung und oftmals den Tod. Für die Donaugrenze im Gebiet des heutigen Österreichs bietet die Lebensbeschreibung des Heiligen Severin (gest. 482) anschauliche Beispiele: Q Auf einem unerwarteten Plünderungszug schleppten räuberische Barbaren alles, was sie außerhalb der Mauern von Favianis (Mautern) an Menschen und Vieh fanden, als Beute mit sich fort. (Eugippius, Vita Sancti Severini, 1, 2 und IV, 1) Die christliche Lehre mit ihrem Erlösungsanspruch war eine Kraft, die den Menschen in jenen gewalttätigen Zeiten Hoffnung vermitteln konnte. Mit der zunehmen- den Auflösung der staatlichen Einrichtungen im Laufe des 5. Jh. übernahmen oftmals die Bischöfe die Verwal- tung der Städte. Dies trug dazu bei, das Christentum vor allem in den Städten gegenüber den alten römischen Götterkulten zu festigen. Aus diesem Grunde war die Christianisierung in den Städten stärker vorangeschrit- ten als bei der Landbevölkerung. Ferner war die kel- 60 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des V rlags öbv

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