Zeitbilder 5/6, Schulbuch

Q Als nun nach altem Recht die gesamte Dienerschaft (...) zur Hinrichtung geführt werden sollte, entstand ein Volksauflauf – man wollte die vielen unschuldigen Menschen retten – und es kam zu einem Straßenkampf. Auch im Se- nat sogar erhoben sich Stimmen gegen diese allzu harte Maßregel, während die Mehrzahl sich aller- dings gegen jede Änderung des Gesetzes erklärte (...). Aber es müssen auch Unschuldi- ge bluten! Freilich, auch wie in einem geschlagenen Heere, wo zur Strafe jeder zehnte Mann er- schlagen wird, trifft das Los nicht bloß Feige, sondern auch Tapfere. Jede ins Große wirkende Bestim- mung schließt Ungerechtigkeit in sich; aber der Schaden, den der Einzelne erleidet, wird durch den Nutzen, den die Gesamtheit hat, aufgewogen. (...) Man äußerte Mit- leid mit der Zahl, der Jugend, dem Geschlecht, der unzweifelhaften Unschuld der meisten Opfer. Doch gewann die Partei, die für die To- desstrafe stimmte, die Oberhand. (Tacitus, Annalen XIV, 42 – 45) Mit welchen Argumenten begründet Tacitus die Kollektivstrafe? Sind euch Beispiele kollektiver Bestra- fung aus der Gegenwart bzw. aus eurer eigenen Lebenswelt bekannt? Welche Argumente sprechen für das Verbot von Kollektivstrafen? Zur selben Zeit schrieb der Politiker und Philosoph Seneca, selbst Besitzer vieler Sklaven, in einem Brief an seinen Freund Lucilius: Q Mit Freude habe ich von de- nen, die von dir kommen, er- fahren, dass du freundschaftlich mit deinen Sklaven zusammen- lebst. Das entspricht deiner Klug- heit und Bildung (...). Bedenke, dass der, den du Sklave nennst, aus demselben Samen ge- boren ist, sich desselben Himmels erfreut, gleich atmet, gleich lebt, gleich stirbt. Du kannst ebenso je- nen als Freigeborenen betrachten, wie jener dich als Sklaven. (...) Fol- gendes ist der Kern meiner Lehre: Lebe so mit den niedriger Gestell- ten, wie du selbst wolltest, dass der Übergeordnete mit dir leben sollte. (...) Lebe mit deinem Skla- ven milde, auch umgänglich, ge- währe ihm Zugang zum Gespräch, zur Beratung, zur Mahlzeit. (...) Verehren sollen sie dich lieber als fürchten. (Seneca, Briefe an Lucilius, 47) Fasse die Haltung Senecas den Sklaven gegenüber zusammen, wie begründet er sie? Auch das junge Christentum akzeptiert die Sklaverei Auch das Christentum akzeptierte die Sklaverei. Der Apostel Paulus schrieb schon im 1. Jahrhundert an die Korinther: Q Nicht anders, als der Herr es ihm zugeteilt, und so, wie Gott ihn berufen hat, soll jeder wan- deln. (...) In dem Stande, in dem er berufen wurde, darin soll ein jeder bleiben. Bist du als Sklave berufen worden? Lass dich’s nicht kümmern. (1. Korinther Brief 7, 17 ff.) Papst Leo der Große verbot 445 die Zu- lassung von Sklaven zum Priesteramt. Seine Begründung lautete: Q Es werden bisweilen Personen zum Priesteramt (...) zugelas- sen, welche weder durch Geburt noch Sitten empfohlen sind. (...) Wer in den Heerdienst Gottes ein- treten will, muss anderen gegen- über frei sein, damit er vom Feld- dienst des Herrn, auf welchen er verpflichtet ist, durch keinerlei ihn sonst bindende Fessel abgezogen wird. (Nach: Schulz, S. 223 f.) Wie rechtfertigt Paulus die Aufrecht- erhaltung der Sklaverei, wie Papst Leo die Nichtzulassung der Sklaven zum Priesteramt? Die „heidnischen“ Sklaven der „Neuen Welt“ Seit dem 14. Jahrhundert nahm der Sklavenhandel in Europa wieder zu. Die Osmanen verkauften ihre am Balkan und in Kleinasien erbeuteten Kriegsge- fangenen als Sklaven. Die christlichen Europäer handelten dagegen mit tür- kischen und maurischen Sklaven, die zum größten Teil bei der Rückeroberung Spaniens gefangen genommen worden waren. Seit der Mitte des 15. Jahrhun- derts wurde der Sklavenzustrom noch erheblich größer, als die Portugiesen an der westafrikanischen Küste einen blühenden Sklavenhandel aufzogen. Mit den Entdeckungsfahrten des Ko- lumbus und der anschließenden Erobe- rung der „Neuen Welt“ begannen für die Ureinwohner des amerikanischen Kontinents Jahrhunderte der Leiden, Ausbeutung und Unterdrückung (vgl. 118ff.). Die christlichen Eroberer hiel- ten sich nämlich für berechtigt, alle Nichtchristen angreifen, plündern und auch versklaven zu können. Denn nach Ansicht der Christen standen diese als Ketzer und Leugner Christi außerhalb der kirchlichen Gesetze. Mit unvorstellbarer Härte und Grausamkeit wurden die neugeschaffenen Kolonien ausgebeutet. Die Indios (= Indianer) wurden aus ihrer Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft herausgerissen und zur Zwangsarbeit verpflichtet. In den Bergwerken und in der Landwirtschaft behandelte man sie wie Arbeitstiere. Unter diesen kör- perlichen und seelischen Qualen ging die indigene Bevölkerung millionenfach zu Grunde oder nahm sich selbst das Leben. Nicht alle Spanier billigten diese brutale Kolonialpolitik: Juristen und Theologen diskutierten in Spanien über die Recht- mäßigkeit der Beherrschung und Unter- drückung der Indios. Der adelige Do- minikanermönch Las Casas, der bis zu seinem 40. Lebensjahr auf Kuba über Grundbesitz verfügte, kämpfte jahr- zehntelang für die Rechte der Indios. Nach vielen Rückschlägen hatte er schließlich Erfolg: 1542 verbot der spanische König Karl Sklaverei sowie Zwangsarbeit und anerkannte die indigene Bevölkerung als spanische Bürger. Doch diese Gesetze wurden nur schlecht überwacht und stießen auf großen Widerstand bei den Kolonisten. So verbesserte sich die Lage der Indios nur sehr langsam. Schwarzafrikanische Sklaven ersetzen die Indios Um die indigene Bevölkerung zu schützen, soll Las Casas einmal vorge- schlagen haben, wegen der größeren Belastbarkeit Schwarzafrikaner auf die spanischen Plantagen in Amerika zu schicken. Denn auch die verschiedenen 55 X Titel dieser Politikseite Sklav rei Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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