Zeitbilder 5/6, Schulbuch
14. Parteien und Interessenverbände entstehen Beschränkung des Wahlrechts – Honoratiorenparteien Die Beschränkung der politischen Mitbestimmung auf die Besitzenden verhinderte auch nach 1867 die Bil- dung von Massenparteien im heutigen Sinn. Das poli- tische Leben jener Jahre war von Honoratiorenparteien geprägt. Diese besaßen weder eine feste Organisation noch ein ideologisches Programm. Die Abgeordneten – meist persönlich wohlhabend – fühlten sich im Par- lament keiner Gruppe und auch den Wählern gegen- über nicht verantwortlich. Sie entschieden einfach nach „bestem Wissen und Gewissen“. Um ihre Interessen wirkungsvoll vertreten zu können, schlossen sich die Abgeordneten jedoch in Klubs zusammen. Im österrei- chischen Reichsrat waren dies zunächst die Liberalen und die Konservativen. Die Liberalen vertraten das finanziell und industriell engagierte Bürgertum, die Freiberufler und den kapita- listisch ausgerichteten Teil der Großgrundbesitzer. Sie bildeten bis 1896 die stärkste Fraktion im Reichsrat. Die Konservativen vertraten den Rest der Großgrund- besitzer, die Interessen der Kirche und die reichen Bau- ern. Sie waren für einen starken Herrscher. Aus diesem Grund standen sie einem Zentralparlament lange eher skeptisch gegenüber. Dafür wollten sie die Befugnisse der Landtage ausweiten. Gegen Ende des Jahrhunderts wurden die Konservativen immer mehr von den Christ- lichsozialen bedrängt. 1907 schlossen sie sich mit ihnen zu einem gemeinsamen Parlamentsklub zusammen. Ausweitung des Wahlrechts – Massenparteien Die schrittweise Ausweitung des Wahlrechts auf immer größere Teile der Bevölkerung führte schließlich zum Entstehen von Massenparteien. Diese entwickelten schon sehr bald eine feste Organisation. Ihre Program- me nahmen als ideologische Grundsatzerklärungen fast den Charakter von Glaubensbekenntnissen an, Partei- disziplin wurde groß geschrieben. Möglichst alle Wäh- ler sollten auch Parteimitglieder sein. An die Stelle der wohlhabenden Amateurpolitiker traten nun Funktionä- re, welche die Politik berufsmäßig betrieben. Noch vor der Jahrhundertwende bildeten sich in Öster- reich jene drei politischen Lager, die bis heute in der Politik bestimmend geblieben sind: Die Christlichso- ziale Partei, die sich zur Österreichischen Volkspartei weiterentwickelte, die Sozialdemokratische Partei, die diese Bezeichnung auch heute führt, und schließlich das Deutschnationale Lager, welches sein liberales und nationales Ideengut der heutigen Freiheitlichen Partei Österreichs vererbte. Das Deutschnationale Lager Die Trennung von Deutschland 1866 ließ die deutsch- sprachige Bevölkerung der Habsburgermonarchie zu einer Minderheit werden. Nach dem Ausgleich sahen sich die Deutschnationalen durch die slawische Mehr- heit in ihrer Führungsrolle gefährdet. Das Deutschnati- onale Lager war in viele Parteien zersplittert. Den größ- ten Zulauf hatte es in all jenen Gebieten Österreichs, wo Deutsche und Slawen unmittelbar miteinander in Berührung kamen: in den Sudetenländern, in Kärnten und in der Steiermark, aber auch in Wien. Besonders Studenten und Akademiker stellten neben dem Klein- bürgertum den Kern ihrer Anhängerschaft. Ziel der Deutschnationalen war, die (führende) Stellung der Deutschen zu sichern und eine intensive Zusam- menarbeit mit dem Deutschen Reich herbeizuführen. Dies wurde schließlich von Georg Ritter von Schönerer, einem radikalen Anführer der Deutschnationalen, im Linzer Programm (1882) festgeschrieben: Q Es ist durch die Lage und die historische Ent- wicklung der diesseitigen Reichshälfte bedingt, dass jenen Ländern der Monarchie, welche ehemals dem Deutschen Bunde angehörten, der deutsche Charakter gewahrt bleibe, und es muss daher ge- fordert werden, dass durch ein Gesetz die deutsche Sprache ausschließlich Sprache des Heeres, der Ver- tretungskörper und der öffentlichen Ämter sei, dass demnach der gesamte innere Amtsverkehr sowie die öffentlichen Bücher und Protokolle ausschließlich in deutscher Sprache geführt und dass niemand eine Staatsanstellung oder sonst ein öffentliches Amt be- kleiden könne, der nicht der deutschen Sprache in Wort und Schrift vollkommen mächtig ist (…), dass in Orten mit sprachlich gemischter Bevölkerung an mindestens einer Volksschule der Unterricht in deut- scher Sprache erteilt und an allen Mittelschulen die deutsche Sprache als obligater Gegenstand gelehrt werde, wogegen kein Schüler zur Erlernung einer anderen etwa landes- oder bezirksüblichen Sprache gezwungen werden kann (…). (Frass, Quellenbuch, Bd. 3, 1962, S. 287) Vergleiche diese Forderungen mit dem Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger. Versuche etwas über das Schulwesen für Angehörige von Minderheiten im heutigen Österreich in Erfahrung zu bringen. Schönerer war sehr populär. Doch wegen seiner Ver- ehrung für alles Preußische und seiner Forderung, die deutschsprachigen Gebiete an Deutschland anzuschlie- ßen, gelang es ihm nicht, alle Deutschnationalen in ei- ner einzigen Partei zu vereinigen. Zu viele von ihnen verhielten sich der Monarchie gegenüber loyal. Erst 1911 verbanden sich mehrere deutschnationale Partei- en zu einem „deutschen Nationalverband“, der dann die stärkste Fraktion im Reichsrat bildete. Schönerers eigene Partei („Alldeutsche“) blieb stets klein. Zu extrem war sein politisches Programm: Er war ein leidenschaftlicher Gegner der katholischen Kirche und vertrat einen radikalen rassischen Antisemitismus. Die Ideen Schönerers zündeten erst Jahre nach dem Auseinanderfallen der Monarchie, dann aber verhee- 270 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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