Zeitbilder 5/6, Schulbuch

Die Entwicklung des Wahlrechts Heute besitzen alle Österreicherinnen und Österreicher, die älter als 16 Jahre sind, das Wahlrecht. Sie wählen in allgemeiner, gleicher, geheimer, persönlicher und direk- ter Wahl die Bundespräsidentin oder den Bundespräsi- denten, den Nationalrat, die Landtage und die Gemein- derätinnen und Gemeinderäte. Dies ist der (vorläufige) Endzustand einer Entwicklung, die 1867 begann. Die Forderung nach einer Erweiterung des Wahlrechts war bis 1907 ein ständiges innenpolitisches Thema. Die Dezembergesetze sahen zunächst ein äußerst be- schränktes Mitspracherecht der Bevölkerung vor. Es gab noch keine direkte Wahl der Abgeordneten zum Reichs- rat. Die Wahlberechtigten wählten die einzelnen Land- tage und diese wiederum die Reichsratsabgeordneten. Bedeutender war jedoch die Einschränkung durch den Wahlzensus. Dies bedeutete, dass nur diejenigen, wel- che eine jährliche Mindeststeuerleistung von 10 Gulden erbrachten, zur Wahl berechtigt waren. Dadurch war das Wahlrecht auch nicht allgemein – es umfasste nur etwa 6 Prozent der Bevölkerung! Schon im Jahre 1873 erfolgte die erste Reform. Gewählt wurde nun in Kurien (Wählerklassen). Durch das Ku- rienwahlsystem war die Wahl sehr ungleich. Die Stim- men bekamen ein unterschiedliches Gewicht, wodurch die Nicht-Besitzenden offen benachteiligt wurden. Im- mer lauter und eindringlicher wurde von den Ausge- schlossenen die Forderung nach einer Ausdehnung des Wahlrechts erhoben. Der nächste Schritt dazu war die Senkung des Zensus auf fünf Gulden. Dennoch blieb die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin von der politi- schen Mitsprache ausgeschlossen. Erst durch die Wahlrechtsreform von 1896 wurde das Wahlrecht (nur für Männer) allgemein: Die Beschrän- kung durch den Zensus fiel. Den bestehenden vier Ku- rien wurde eine fünfte, die „allgemeine Wählerklasse“, hinzugefügt. Vom Gleichheitsgedanken war man jedoch noch weit entfernt. Jeder einzelnen Kurie wurde nämlich weiterhin – ohne Rücksicht auf die Wählerzahl – eine be- stimmte Anzahl von Abgeordnetensitzen zugeordnet. Den Endpunkt der Entwicklung des Wahlrechts in der Monarchie setzte Ministerpräsident Max Wladimir Frei- herr von Beck mit der Abschaffung der Wählerkurien im Jahre 1907. Nun war die Wahl zum Reichsrat wirk- lich allgemein, gleich, geheim, persönlich und direkt. Dieses allgemeine Wahlrecht galt aber nur für Männer! Diese waren ab 24 Jahren wahlberechtigt. Die Frauen erhielten das Wahlrecht erst in der Republik Deutschös- terreich (1918). Welche Gründe könnten dafür ausschlaggebend gewesen sein, dass die Frauen das Wahlrecht erst so spät bekom- men haben? Fragen und Arbeitsaufträge 1. Beschreibe, aus welchen Institutionen und Kräften in Österreich die „konstitutionelle Monarchie“ ab 1867 bestand. 2. Erstelle eine Liste, auf der du notierst, wie sich in Öster- reich das Wahlrecht entwickelte. Die Entwicklung des Wahlrechts. Adel, Großbürger- tum Wahlzensus 10 Gulden Wahlzensus 5 Gulden Wahlzensus 4 Gulden für die 3. und 4. Kurie Gleiches Wahlrecht für Männer Gleiches Wahlrecht für Männer und Frauen 1873 1882 1896* 1907 1918 Handwerker, Facharbeiter, Bauern Handwerks- gesellen, Hilfsarbeiter, bäuerliches Gesinde, Dienstboten Frauen * 1897 wählen auf Grund der Wahlreform von 1896: Mandate: Wähler – Gesamtbevölkerung Cisleithaniens ca. 26 000 000 5 402 Großgrundbesitzer (1. Kurie) und erhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 583 Handels- und Gewerbekammermitglieder (2. Kurie) und erhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 383 500 Wähler der Städte und Märkte (3. Kurie) und erhalten . . . . . . . . . . . . . . 118 1 378 572 Landgemeindewähler (4. Kurie) und erhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5 500 000 Allgemeine Wähler (5. Kurie) und erhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Allgemeine Wählerklasse („5. Kurie“) an keinen Wahlzensus gebunden Berechne das Verhältnis von Wählerzahl zur Abgeordne- tenzahl in den einzelnen Kurien. Welche Argumente könn- ten die Anhänger dieser Ungleichheit ins Treffen geführt haben? W Karikatur zum Frauenwahlrecht, Stiftung Bruno Kreisky Archiv. Beschreibe die Karikatur. Welche Argumente für die Gleichberechtigung von Frauen werden indirekt angesprochen. 269 Österreich im Mittelalter und in der Neuzeit 7 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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