Zeitbilder 5/6, Schulbuch

11. Österreich auf dem Weg zum Verfassungsstaat Noch einmal Absolutismus Die Revolutionen der Jahre 1848 und 1849 waren nie- dergeschlagen. Aber die „oktroyierte“ Verfassung vom März 1849 (vgl. S. 213 f.) bestand noch – theoretisch zumindest. Denn regiert wurde absolutistisch. Am 31. Dezember 1851 verfügte schließlich Franz Joseph mit dem „Sylvesterpatent“ die Aufhebung der Verfassung. Damit begründete er die Zeit des „Neoabsolutismus“ (1851–1860): Q Um zu denjenigen Einrichtungen zu gelangen, welche geeignet sind, den Bedürfnissen Unse- rer verschiedenen Völker sowie den Bedingungen der Wohlfahrt aller Schichten derselben zu entspre- chen und die Stärke Unserer Regierung zur Befes- tigung der äußeren und inneren Sicherheit, Einheit und Macht des Staates zu bekräftigen, werden die Wege der Erfahrung und der sorgfältigen Prüfung al- ler Verhältnisse eingehalten und die daraus abgelei- teten organischen Gesetze fortschreitend zu Stande gebracht werden. (Frass, Quellenbuch, Bd. 3, 1962, S. 214) Durch das Sylvesterpatent wurde neben der Pressefrei- heit, den Geschworenengerichten und dem öffentlichen Gerichtsverfahren auch die Autonomie der Gemeinden abgeschafft. In allen habsburgischen Ländern sollten das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) und das ös- terreichische Strafrecht die Grundlagen der Gerichtsbar- keit sein. Man wollte einen starken Zentralismus durch- setzen, der keine Rücksicht auf die Besonderheiten der vielen Völker nahm. Franz Joseph selbst erklärte: Q Nun, wo mein Name allein unter allen Verord- nungen steht, ist jeder Tadel an derlei Maßnah- men Hochverrat. (Ebd.) Welche Ziele Franz Josephs kommen im Sylvesterpatent zum Ausdruck? Welches Herrschaftsverständnis Franz Josephs lässt sich aus dem obigen Ausspruch erschließen? Was bedeutet die Aufhebung der Ver- fassung für den Staatsbürger? Was bringt dies einer Regierung? Freiheit für die Bauern Zwei wichtige Errungenschaften der Revolution von 1848/49 wurden je- doch nicht angetastet: die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz so- wie die Beseitigung der bäuerlichen Grunduntertänigkeit und der damit verbundenen feudalen Lasten und Pflichten (Zehent, Robot). In der Zeit des Neoabsolutismus ging man an die Durchführung der Bauernbefreiung: Kommissionen, welche zu je einem Drittel aus Grundherren, Beamten und Bauern bestanden, bestimmten die Ablösesumme für die Robot- und Abgabenleistungen. Viele Grundherren modernisierten mit diesem Geld den eigenen Gutsbetrieb oder gründeten Industriebetriebe wie Ziegelwerke, Zuckerfabriken oder Molkereien. Obwohl die Ablösesummen relativ gering waren, war für viele Bauern die neue Freiheit mit einer starken Ver- schuldung verbunden. Die meisten von ihnen waren gezwungen, Kredite für die Ablösung der Grundlasten aufzunehmen. Viele dieser verschuldeten Bauern muss- ten ihr Land und ihre Höfe (oft zu Spottpreisen) ver- kaufen und sich selbst als Knechte bei einem reicheren Bauern verdingen. Oder sie gingen in die Stadt, um dort in den Fabriken zu arbeiten. Für Ruhe und Sicherheit auf dem Land sorgte die schon 1849 gegründete Gendarmerie. Verwaltung und Ge- richtsbarkeit wurden getrennt, dafür schuf man Be- zirkshauptmannschaften und Bezirksgerichte. Die Steuereinhebung übertrug man an neu eingerichtete Finanzämter. Bündnis mit der Kirche Neben dem Heer und den Beamten war die katholische Kirche eine wichtige Stütze der Herrschaft im Neoab- solutismus. Allerdings sorgten die ständigen Eingriffe des Staates in kirchliche Angelegenheiten (z. B. Ver- waltung des kirchlichen Vermögens, Zensur der kirch- lichen Verlautbarungen) für starke Unzufriedenheit in der Geistlichkeit. Im Konkordat von 1855 erhielt die Kirche folgende Rechte: die Selbstverwaltung ihres Ver- mögens, die Ehegerichtsbarkeit (Scheidungen wurden fast unmöglich) sowie die Zensur von Büchern religiö- sen Inhalts. Besonders viel Einfluss erhielt die Kirche im Schulwesen: W Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth während der Verlobungszeit. KHM Wien: Porzellan- gemälde, 1853. 262 Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

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