Zeitbilder 5/6, Schulbuch

gen Mädchen – abgeschirmt von der Außenwelt – unter Aufsicht ihrer Mütter, Ammen und Sklavinnen auf. Im Gynaikon lernte die junge Athenerin jene Tätigkeiten, die von ihr als Ehefrau erwartet wurden: Kochen, Spin­ nen, Weben. Manche Mädchen erhielten dazu auch noch Grundkenntnisse im Rechnen, Schreiben, Lesen und Musizieren. Meist wurden sie schon im Alter von 12 bis 15 Jahren von ihrem Vater an einen oft doppelt so alten Mann verheiratet. Eine ehrbare, wohlhabende Ehefrau verließ ihr Haus so selten wie möglich. Bei Hochzeiten und Begräbnissen, zum Besuch des Theaters und öffentlicher Festlichkei­ ten konnte man sie in der Öffentlichkeit sehen. Den Einkauf auf dem Markt besorgten die Sklaven ebenso wie alle Botengänge. Die einfache Frau aus dem Volk jedoch musste aktiv mithelfen, die Familie zu erhal­ ten. Als Händlerin auf dem Markt verdiente sie eben­ so ihr Geld wie als Textilarbeiterin oder als Hebamme, ein Beruf, der hoch geachtet war. Zu höheren Berufen, die Bildung und Ausbildung erforderten, hatten Frau­ en normalerweise keinen Zutritt. Was die Männer von einer attischen Frau erwarteten, erklärte Perikles in der „Gefallenenrede“ so: Q Soll ich auch (...) von der Frauentugend spre- chen, so kann ich alles in die kurze Ermahnung zusammenfassen: Erfüllet ohne Rest die Pflichten, die eure Natur euch zuweist, so wird man euch loben, und wenn von einer Frau, sei es zum Guten, sei es im Bösen, unter Männern möglichst wenig gesprochen wird, so ist das ihr höchster Ruhm. (Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges II, 45) In diesem Text ist von der „Natur der Frau“ die Rede. Wel- che Eigenschaften könnten damit gemeint sein? Spricht man heute noch von „natürlichen“ Eigenschaften einer Frau/eines Mannes? Die rechtlose Frau Die Stellung der Frau war zur Zeit des Perikles beson­ ders schlecht. Die Athenerin erlangte niemals größere Handlungsfreiheit. Die Herrschaftsgewalt des Haus­ herrn erstreckte sich über die gesamte Familie und ebenso über deren Besitz. In allen Rechtsangelegenhei­ ten musste sich die Frau von einem Mann vertreten las­ sen, ihre Zeugenaussage vor Gericht hatte nur bedingte Gültigkeit. Auch das Scheidungsrecht benachteiligte die Frau: Stets wurde sie als schuldig betrachtet, wenn eine Ehe wegen Kinderlosigkeit oder Zwistigkeiten – das waren die häufigsten Gründe – geschieden wurde. Der Mann konnte seine Frau auch ohne Begründung einfach ver­ stoßen. Sie aber musste mit dem Beistand eines männli­ chen Verwandten die Scheidungsklage persönlich beim zuständigen Archon einbringen. Selbst wenn die Frau Recht bekam, blieben aber die gemeinsamen Kinder beim Mann. Im Gegensatz zu den Frauen waren den Männern auch außereheliche Beziehungen erlaubt. Während die Mädchen armer attischer Bürger oft als Hetären verkauft wurden, da es an der Mitgift fehl­ te, fristeten vor allem Sklavinnen oder Metökinnen das Leben als Freudenmädchen. Sie waren in der von Männern dominierten attischen Gesellschaft durchaus geduldet. Manche von ihnen gelangten in dieser Rolle sogar zu großem Vermögen.  Attisches Grabrelief des Thraseas und der Euandria (um 360 v. Chr., Höhe 1,60m) Das Ehepaar ist eng aufeinander bezogen dargestellt. Die Frau – sitzend in geschlossener Körperhaltung, die Füße auf einem Schemel ruhend – repräsentiert häusliche Ehrbarkeit; der Mann – stehend, mit der Linken das Ende seines über die Schulter gelegten Mantels haltend – repräsen- tiert den Typus des intellektualisierten Bürgers seiner Zeit. Sie reichen einander die Hand im Gestus der ehelichen Verbundenheit. Im Hinter- grund eine Dienerin in Trauerpose. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Stelle die Lebenssituation und Rechte der männlichen Vollbürger sowie die der (männlichen) Metöken dar und vergleiche sie mit jener der heutigen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie Immigrantinnen und Immigranten. 2. Vergleiche die Lebenssituation der attischen Frauen mit der von Frauen heute. Welche Ansprüche stellt die gegen- wärtige Industriegesellschaft an „moderne“ Frauen? 3. In der österreichischen Verfassung, im Eherecht und auch durch die Menschenrechte sind Mann und Frau gleichgestellt. Vergleiche Recht und Wirklichkeit heute und stelle sie dem attischen Recht gegenüber. 4. Informiert euch in einem Lexikon oder im Internet über die griechische Polis Sparta, die schon in der Antike als gegensätzliches Ideal zu Athen dargestellt wurde. Welche politische Organisationsform herrschte dort vor, welche Rechte und Pflichten hatten Männer, Frauen, Kinder, Fremde (= Nicht-Spartiaten)? 25 2 Die antike Welt Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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