Zeitbilder 5/6, Schulbuch
Hierbei setzten die Regierungen Deutschlands und Ös- terreichs große Hoffnungen auf die 14 Punkte des ame- rikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, die dieser im Jänner 1918 als Grundlage für einen Frieden prokla- miert hatte. Der amerikanische Präsident konnte sich die Verwirklichung seines Friedensplanes jedoch nur zwischen demokratisch gewählten Regierungen vor- stellen. Dies war seiner Ansicht nach weder im Deut- schen Reich noch in Österreich der Fall. Hier änderte sich aber in den letzten Wochen des Krie- ges sehr viel. Ende Oktober wurde Deutschland durch eine Verfassungsänderung zu einer parlamentarischen Monarchie. Nach weiteren revolutionären Unruhen erfolgte am 9. November in Berlin die Ausrufung der Republik. Am 11. November unterzeichnete Matthias Erzberger als Beauftragter der neuen Regierung den Waffenstillstand. Im Oktober 1918 zerfiel auch der Vielvölkerstaat der Habsburger in eine Reihe von „Nachfolgestaaten“. Am 3. November wurde der Waffenstillstand unterzeich- net und am 12. erfolgte die Ausrufung der Republik „Deutsch-Österreich“, nachdem Kaiser Karl I. auf die weitere Ausübung der Regierungsgeschäfte verzichtet hatte. Die Welt hatte sich gegenüber 1914 grundlegend ge- wandelt. Große politische, wirtschaftliche und gesell- schaftliche Veränderungen fanden statt. In Russland entstand der erste kommunistische Staat. Auch in Deutschland, Österreich-Ungarn und im Osmanischen Reich stürzte die monarchische Ordnung. Republiken entstanden. Parlamentarische Demokratie und Verfas- sungsstaat erfuhren neuen Auftrieb. In vielen Staaten gewannen die Arbeiterparteien politischen Einfluss und konnten sogar bei Regierungsbildungen eine entschei- dende Rolle spielen. Doch die Zahl derer, die mit dieser neuen Ordnung nicht leben wollte oder durch den Krieg einen sozialen Abstieg erlebt hatte, war groß. Sie erleb- ten die Umwälzungen als Zusammenbruch. Andere sa- hen darin neue Chancen. Wieder anderen gingen sie zu wenig weit. Die Ansicht, die gro- ßen gesellschaftlichen Auseinan- dersetzungen stünden erst bevor, war daher weit verbreitet. Am Ende des Krieges gab es militärische Sieger und Besieg- te, doch ökonomisch hatten mit Ausnahme der USA und Japans praktisch alle den Krieg verlo- ren. Hinzu kam die jahrelange Kriegspropaganda, die den je- weiligen Gegner entweder zum Ungeheuer gemacht oder der Lä- cherlichkeit preisgegeben hatte. Konnten deren Auswirkungen über Nacht beseitigt werden? Und was war vor allem mit dem unermesslichen Leid, das dieser Krieg bereitet hatte? Rund 10 Millionen Menschen hatten ihr Leben verloren, weitere 20 Mil- lionen waren verwundet worden und blieben vielfach ihr Leben lang körperlich und seelisch verkrüppelt. Ungeheure Ressourcen wurden zerstört. Vor diesem Hintergrund begannen im Jänner 1919 in Paris die Friedensverhand- lungen. Die Besiegten des Krieges waren von den Friedensver- handlungen ausgeschlossen. Sie wurden von den USA, Großbritannien, Frankreich und Italien bestimmt. Au- ßer ihnen nahmen noch die Vertreter jener Staaten teil, die als Verbündete gegen die Mittelmächte gekämpft hatten. Insgesamt wurden fünf Friedensverträge ge- schlossen: der Vertrag von Versailles mit Deutschland, –– der Vertrag von Saint Germain-en-Laye mit Öster- –– reich und der Vertrag von Trianon mit Ungarn, der Vertrag von Neuilly mit Bulgarien, –– die Verträge von Sévres bzw. Lausanne mit der Tür- –– kei. Abrüstung, Kriegsentschädigung und neue Staatsgren- zen waren Hauptprobleme der Verträge, wobei neue Grenzen vor allem Deutschland im Osten betrafen. Vie- le der kleinen Nationen erhielten ihre staatliche Unab- hängigkeit. Damit hoffte man, das spannungsgeladene Nationalitätenproblem der Vorkriegszeit zu lösen. Doch auch viele der neuen Staaten waren ethnisch unterschiedlich zusammengesetzt. Minderheiten sahen sich bald wieder unterdrückt oder benachteiligt. Häufig durchschnitten die Grenzen auch gemischt besiedelte Gebiete. Das führte bald zu neuen Problemen in diesen Gebieten. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Arbeite heraus: Welche politischen Folgen ergaben sich für die besiegten • Mächte? Denke dabei z.B. an die Staatsform. Welche wirtschaftlichen und sozialen Folgen waren für die • Menschen in den europäischen Ländern spürbar? W Thomas Masaryk ruft in Philadelphia den tschechoslowakischen Staat aus. Fotografie, 18.10.1918. 235 Imperialismus und Erster Weltkrieg 6 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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