Zeitbilder 5/6, Schulbuch
31. Juli: Generalmobilmachung Österreich-Ungarns; Ultimatum Deutschlands an Russland um Rücknahme der Mobilmachung und an Frank- reich um Erklärung der Neutralität im Falle ei- nes deutsch-russischen Krieges 1. Aug.: Französische Ablehnung des Ultimatums und Mobilmachung; deutsche Mobilmachung und Kriegserklärung an Russland 2. Aug.: Englische Mobilmachung der Flotte 3. Aug.: Deutsche Kriegserklärung an Frankreich; Überfall auf das neutrale Belgien 4. Aug.: Englische Kriegserklärung an Deutschland Die Kriegsbegeisterung war verbreitet Zu Beginn des Krieges zeigte sich, dass die Bemühun- gen um den Frieden wenig bewirkt hatten. Viele Jahre später erinnerte sich Stefan Zweig an die ersten Au- gusttage des Jahres 1914: Q In jeder Station klebten die Anschläge, welche die allgemeine Mobilisation angekündigt hatten. Die Züge füllten sich mit frisch eingerückten Rekru- ten. Fahnen wehten, Musik dröhnte, in Wien fand ich die ganze Stadt in einem Taumel (…). Aufzüge formierten sich (…), die jungen Rekruten marschier- ten im Triumph dahin, und ihre Gesichter waren hell, weil man ihnen zujubelte, ihnen, den kleinen Men- schen des Alltags, die sonst niemand beachtet (…). Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss ich beken- nen, dass in diesem ersten Aufbruch der Massen et- was Großartiges (…), sogar Verführerisches lag (…). Wie nie fühlten sich (…) hunderttausende Menschen, was sie besser im Frieden hätten fühlen sollen: Dass sie zusammengehören. (Stefan Zweig, Die Welt von Gestern, 1955, S. 206 f.) Welche Motive für die Kriegsbegeisterung führt Zweig an? Diskutiere das Verhältnis von Individuum und Masse. L Auch die Sozialisten verhielten sich als Patrioten, um das Vaterland zu schützen. Deutschland ge- gen den russischen (…) oder Frankreich gegen den deutschen Imperialismus (…). Am 4. August stimmte die französische Arbeiterpartei den Kriegskrediten zu, ebenso die deutsche sozialdemokratische Reichs- tagsfraktion. (Schulin, Erster Weltkrieg, 1990, S. 379) Symbolisch für die aufgeheizte nationalistische Atmo- sphäre war die Ermordung des sozialistischen Partei- führers und Pazifisten Jean Jaurés durch einen französi- schen Nationalisten am 31. Juli 1914 in Paris. Es gab aber nicht nur Begeisterung. Käthe Leichter z. B. schrieb: Q Ich erinnere mich, mit meiner Schulfreundin Thilde auf dem Balkon unserer Wohnung geses- sen zu sein und ihr auseinander gesetzt zu haben, dass die Hauptsache sei, dass endlich einmal Bewe- gung (…) an die Stelle der bisherigen Starrheit trete. Thilde hatte Brüder, die vor dem Einrücken standen und anscheinend die Dinge anders betrachteten. Denn sie sagte zu mir: „Wie kannst du nur diesen mit Absicht fabrizierten Quatsch so gedankenlos nach- reden?“ Das machte mich wohl nachdenklich, aber die Stimmung und Bewegtheit um mich herum sagte mir zu. (Leichter, Lebenserinnerungen; in: Käthe Leichter, Leben und Werk, 1973, S. 343) Vergleiche die Aussagen Käthe Leichters und Stefan Zweigs. Diskutiere die Rolle der Propaganda in Zusam- menhang mit Krieg. Diese Gegenstimmen waren selten. Zu ihnen zählte der Berliner Pazifist Georg F. Nicolai. Er gründete eine pazifistische Organisation, an der auch Albert Einstein mitarbeitete. Einstein beklagte Tod und Vernichtung, die der Krieg verursachte, aber auch den Zusammen- bruch der kulturellen und menschlichen Beziehungen. Ähnlich empfanden Romain Rolland in Frankreich oder Arthur Schnitzler in Österreich. Alfred Polgar, Franz Werfel oder Karl Kraus hielten sich ebenfalls fern von propagandistischer Betätigung, wie sie viele ihrer Kol- legen ausübten. W Kriegsbegeisterte Jugend auf dem Pariser Platz. Foto: Berlin 1914. Die Kriegsbegeisterung in Berlin und Paris schlug hohe Wellen. Sie überdeckte in den beteiligten Staaten politische und soziale Gegensät- ze. Wilhem II. sagte: „Ich kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche“. In Frankreich meinte H. Poincaré: „In dieser Stunde gibt es keine Parteien mehr. Es gibt nur noch das einige Frankreich.“ (Schulin, Erster Weltkrieg, 1990, S. 377). Fragen und Arbeitsaufträge 1. Erarbeite Gründe dafür, warum der Balkan eine beson- dere Krisenregion in Europa gewesen ist. 229 Imperialismus und Erster Weltkrieg 6 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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